Kurzgeschichte: Zehn Jahre danach


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Diese Kurzgeschichte erschien in der Benefiz-Anthologie “Love is Love: Romantische Kurzgeschichten gegen Homophobie” weitere Infos unter “Meine Bücher”

Cover: Zehn Jahre danach

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Frustriert schloss Liam die Haustür auf. Bereits im Flur begrüßte ihn ein Haufen Kleidungsstücke, der mitten im Weg lag. Dazu gesellte sich laute Musik, die offensichtlich aus dem Wohnzimmer zu kommen schien. Seufzend zog er seine Jeansjacke aus und hing sie an die Garderobe. Seinen Rucksack stellte er in die Ecke.
»Kannst du die Musik leiser drehen?«, rief Liam und blieb im Türrahmen zum Wohnzimmer stehen.
Sprachlos stand er da und starrte auf die Couch. Dort lag sein Freund Jack mit einem anderen Mann. Oder anders gesagt, sein Freund lag auf dem Rücken, während der andere keuchend auf ihm gymnastische Übungen machte. Nackt versteht sich.
Als Liam endlich seine Sprache wiedergefunden hatte, war er weder traurig oder enttäuscht. Ganz das Gegenteil war der Fall. Jack hatte ihm endlich den Grund dafür geliefert, um ihn ein für alle Mal aus seiner Wohnung zu werfen.
Langsam näherte er sich der überlauten Stereoanlage und drehte die Musik aus.
Im gleichen Augenblick hielten die beiden auf der Couch inne und Jack sah ihn mit schockgeweiteten Augen an. Sein Lover wirkte nicht weniger überrascht.
»Jack! Raus mit dir!«, schrie Liam.
Was dann geschah, passierte innerhalb von ein paar Minuten und Liam genoss jeden Moment mit einer inneren Genugtuung, dass er sich fast geschämt hätte. Jack und sein Reiterlehrling stoben auseinander, während Liam ihre verstreuten Klamotten vom Boden aufklaubte und ihnen zuwarf.
»Verlasst meine Wohnung. Auf der Stelle.«
»Aber Liam. Ich … ich wollte das …«
»Wenn du mir jetzt sagen willst, dass du mich liebst und das nur aus Versehen passiert ist, dann lass es. Dir ist auch nur rein zufällig dieser Typ auf dem Weg nach Hause entgegengekommen und ihr habt euch kurzerhand entschlossen eine Runde zu poppen. Gut. Dann könnt ihr draußen gerne weitermachen. Und jetzt RAUS!« Beim letzten Wort deutete er mit dem rechten Zeigefinger in Richtung Tür.
Während sich beide notdürftig die Klamotten überzogen, musterte er aus den Augenwinkeln Jacks neueste Errungenschaft. Er war mindestens zehn Jahre jünger als er. Das war für ihn nichts Neues. Dass sein ‚Ex-Freund‘ fremd ging, war ebenfalls keine Überraschung, und dass es sich um junges Gemüse handelte, das eben erst den High-School-Abschluss geschafft hatte, auch nicht. Neu war nur, dass er ihn zum ersten Mal in flagranti dabei erwischt hatte.
»Bitte … lass uns reden«, versuchte Jack sich bei ihm einzuschleimen. »Es ist nicht so …«
»Wie es aussieht«, beendete Liam den Satz und schüttelte den Kopf. Beinahe wäre er aufgrund der Ironie in schallendes Gelächter ausgebrochen. Doch er hielt sich zurück. »Diese uralten Floskeln kannst du dir sparen. Genauso wie alle Beteuerungen, die du je ausgesprochen hast. Meinst du, ich bin blind und bekomme gar nichts mehr mit? Dieses Bürschchen war nicht dein erster Fehltritt. Jedes Mal, wenn ich unterwegs war auf Reportage, wusste ich es. Deine Fickfreunde haben auch hier und da ein paar Souvenirs hinterlassen. Also lass deine Sprüche und verschwinde. Das hätte ich schon viel früher machen sollen. Nächste Woche kannst du deine Sachen abholen.«
Entschieden und mit zusammengekniffenen Augen verwies er Jack und den jungen Mann aus seiner Wohnung. Als die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte, lehnte Liam sich an und rutschte langsam auf den Boden. Dort winkelte er die Beine an und schloss die Augen.
Mit einem lachenden, aber auch mit einem weinenden Auge blickte er gedanklich auf diesen Tag und auf seine bisherigen Beziehungen zurück. Jack war nicht der Erste, der ihn hinter seinem Rücken betrogen hatte. Wahrscheinlich war er auch nicht der Letzte. Allerdings war Jack bisher der Einzige seiner Lover, der einen anderen mit in seine Wohnung gebracht hatte. Die anderen hatten sich wenigstens so anständig benommen und sich in den eigenen vier Wänden vergnügt. Am liebsten wäre Liam aufgestanden und hätte die Couch aus dem Fenster geworfen. Es ekelte ihn, wenn er nur daran dachte, er könnte darauf verräterische Spuren von Jacks Fremdgehen entdecken. Wahrscheinlich müsste er sich erst eine neue Couch kaufen, bevor er wieder in Ruhe darauf Platz nehmen konnte. Das wiederum erinnerte ihn an den ohnehin schon verkorksten Tag.
Sein Chef hatte ihn heute Vormittag in sein Büro zitiert, um ihm zu offenbaren, wie es derzeit um seine Stelle als Reisejournalist aussah. Schlecht bis sehr schlecht. Er hatte nicht seine Berichte und Fotografien bemängelt, doch das Interesse der Leserschaft war stark zurückgegangen. Diese war inzwischen hungrig auf Sensationsberichte und diese konnte er nicht liefern. Nun hatte er von heute an einen Monat Zeit, um daran etwas zu ändern.
Anscheinend waren das Schicksal und das Glück gegen ihn. So erging es ihm schon sein ganzes bisheriges Leben.
Liam holte einmal tief Luft und öffnete die Augen. Es nutzte ihm nichts, wenn er jetzt anfing, Trübsal zu blasen. Aber was ihm helfen würde, wäre ein Glas Scotch. Er stand auf, lief ins Wohnzimmer und kam an einem Stapel geöffneter Papiere vorbei, die er zuvor nicht bemerkt hatte. Sie lagen kaum einsehbar auf einer Kommode. Neugierig geworden, vergaß er den Drink und nahm die Briefe an sich. Weil er sich nicht auf die Couch setzen wollte, nahm er sie mit in die Küche. Bei einem gekühlten Bier sah er sich den Papierhaufen an. Schockiert stellte er fest, dass alles an ihn adressiert war. Doch es handelte sich hauptsächlich um Werbung, Briefe aus verschiedenen Presseabteilungen, mit denen er zusammenarbeitete und Einladungen zu unterschiedlichen Events, die ihn als Reisejournalist interessieren könnten.
»Jack, das wirst du mir noch büßen«, fluchte Liam.
Da er die Papiere vorher nie gesehen hatte, er sie demnach auch nicht geöffnet hatte, gab es nur einen Schuldigen. Wie Jack daran gekommen war und warum er das getan hatte, war ihm ein Rätsel. Wenigstens konnte er beim groben Überfliegen erkennen, dass noch alles seine Gültigkeit besaß. Gerade als er mit der Bierflasche ins Wohnzimmer zurückkehren wollte, um zu sehen, ob Jack ihm nicht noch mehr Post vorenthalten hatte, fiel ihm ein ungeöffneter Brief in die Hand. Er riss den Umschlag auf und zog eine Karte heraus. Der Inhalt war eine Einladung zum zehnjährigen Klassentreffen. Überrascht stellte er fest, dass es genau heute stattfand. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es in einer Stunde anfangen würde.
»Oh verdammt.«
Noch vor Kurzem war er Carol Hall über den Weg gelaufen. In seiner Schulzeit war sie Schulsprecherin gewesen. Sie hatte ihn auch auf dieses Klassentreffen angesprochen, woraufhin er ihr seine neue Adresse aufgeschrieben hatte. Die Einladung trug ihre Unterschrift.
An und für sich sprach nichts dagegen, dass er es wahrscheinlich noch rechtzeitig schaffen würde hinzukommen, aber es gab eine Erinnerung, die ihn zögern ließ. Und diese nannte sich David Price. Zehn Jahre hatten sie sich nicht gesehen. Aber Liam hatte seine Karriere als Rennfahrer in den Nachrichten immer verfolgt. Schon in ihrer Schulzeit hatte sich David sehr früh für Autos und deren Pferdestärken interessiert. Mit Unterstützung seiner Eltern war er auch schon damals Rennen gefahren. Daher hatte es Liam auch nicht gewundert, dass er den gefährlichen Beruf im Cockpit eines Boliden angesteuert und inzwischen ziemlich erfolgreich für eine sehr bekannte Automarke fuhr. Damit scheffelte David während eines Rennens mehr Geld, als Liam in einem Jahr verdiente.
Doch es waren weder das Geld noch der Beruf, die Liam unschlüssig machten, sondern die einfache Tatsache, dass er einmal unsterblich in David verliebt gewesen war. Kurz vor ihrem gemeinsamen Abschluss hatten sie sich sogar ein einziges Mal geküsst, nur um danach getrennte Wege zu gehen. Diesen Schmerz hatte Liam nie überwunden. Es war sogar so weit gekommen, dass er sich für seine homosexuelle Neigung David gegenüber schämte, der offensichtlich den Kuss nur als eine Art Experiment angesehen hatte. Vermutlich, so mutmaßte er insgeheim, war das der Grund für seine bisher gescheiterten Beziehungen. Und David wiederzusehen würde dem Tag mit einem beschissenen Abend wahrscheinlich die Krönung aufsetzen.
Andererseits, so überlegte er, würde David vielleicht gar nicht so tief von seinem hohen Ross absteigen, um sich mit ehemaligen Mitschülern zu treffen, die ihn einst für seine Rennleidenschaft ausgelacht hatten.
Nach einem weiteren Bier und einer entspannenden Dusche war Liams Entscheidung gefallen. Er würde auf dieses Treffen gehen. Schlimmer als seine baldige Kündigung und der Rauswurf seines Exfreundes mitsamt seines Lovers konnte es nicht werden.

* * *

Mit einer halben Stunde Verspätung traf Liam Murray bei seiner alten Schule ein. Schon auf dem Parkplatz begrüßte ihn laute Musik aus den Lautsprecherboxen. Mehrere Wegweiser führten ihn zur Sporthalle. Dort gab es ein kleines Empfangskomitee der High School Réunion. Carol kannte er, doch die anderen zwei Damen waren ihm unbekannt, obwohl sie Namensschilder trugen. Er tat kurzerhand so, als würde er sie wiedererkennen, und ließ ein kleines Ritual über sich ergehen. Liam bekam ein eigenes Namensschild an sein dunkelblaues Hemd geklebt und musste sich mit seinem Namen und einem Spruch in ein Buch eintragen. Danach war er entlassen und konnte sich unter die Menge mischen. Zu den Hits aus dem Jahr 2005 strömten einige seiner ehemaligen Mitschüler in die Mitte und tanzten, während die meisten sich um das Buffet und die Bar drängten, andere wiederum unterhielten sich an den zahlreichen Tischen. Überall hingen bunte Luftballons und Girlanden. Sogar das Motto vom Abschlussball war integriert worden. Passend zum Thema Sunflowers standen überall Blumen herum, in Vasen und Kübeln. Oder sie steckten in den Haaren der Damenwelt.
Der Anblick dieser Veranstaltung war genauso typisch, wie er sich das auf der Fahrt hierher vorgestellt hatte. Spießig und langweilig. Am liebsten hätte er sich geohrfeigt, weil er gekommen war. Doch nun konnte er es nicht mehr ändern. Zumindest aus Höflichkeit musste er eine Stunde bleiben. Danach würde er auf dem schnellsten Weg nach Hause fahren und sich betrinken.
»Hey Liam«, rief es plötzlich hinter ihm. »Du bist doch Liam Murray, oder?«
Er erkannte die Stimme, drehte sich zu ihr herum und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Sein Herz begann zu rasen und er spürte, wie die Wärme in sein Gesicht schoss. Genau das, was er vorhin für völlig abwegig gehalten hatte, war tatsächlich eingetroffen. Vor ihm stand in voller Größe niemand geringerer als David Price. Er sah genauso aus, wie er ihn in den letzten zehn Jahren auf unzähligen Fotos und bei Siegerehrungen im Fernsehen in Erinnerung hatte. Obwohl, das stimmte nicht ganz. In natura sah er schlichtweg umwerfend aus. Fasziniert starrte er David an und biss sich nervös auf die Unterlippe.
David war groß, sportlich und einer der attraktivsten Männer, die Liam kannte. Seine dunkelbraunen Haare hatte er stylish mit Gel verwuschelt, was ihm einen verwegenen Touch verlieh. Er trug eine dunkelblaue Jeans und ein weißes Hemd, das schwarze Jackett hatte er ausgezogen und es sich locker über die Schulter geworfen. In diesem legeren Look hatte er noch nie besser ausgesehen.
Liams Kehle war plötzlich ganz trocken. Daher brachte er nur ein leises und krächzendes »Hi« zustande. Beschämt schluckte er und startete einen neuen Versuch. »Hi David.«
»Liam, komm her. Lass dich drücken.« Mit diesen Worten stürmte er auf ihn zu und nahm ihn fest in den Arm. Als David ihn wieder losließ, trat er einen Schritt zurück und musterte Liam. »Verdammte Scheiße … du siehst gut aus.«
Perplex lächelte Liam. Erst nach einigen Sekunden hatte er sich wieder im Griff, zumindest äußerlich. Er war auf jeden Fall froh, dass David nicht sein wildes Herzklopfen hören konnte.
»Danke, du alter Schelm.« Liam grinste. »Ich hätte nie gedacht, dass du herkommen würdest.«
»Partys verpasse ich nie«, antwortete David mit einem Zwinkern. Dann beugte er sich nach vorne und flüsterte Liam ins Ohr. »Ehrlich gesagt, ich hatte gehofft, dich hier zu sehen.« Anschließend brachte er wieder Abstand zwischen sie. »Es war eigentlich Sarahs Idee. Sie hat beschlossen, dass das Klassentreffen auch gleichzeitig mein Junggesellenabschied ist.«
Aufgewühlt und mit einem Stich mitten durchs Herz stand Liam da und hoffte, er hätte sich verhört. Doch tief in seinem Inneren wusste er, dass es nicht so war. Zum einen war David nur wegen ihm gekommen. Zum anderen hatte er ihm gerade gesagt, dass er heiraten würde. Diese schreckliche Nachricht wurde nur noch getoppt durch die Erwähnung des Namens Sarah. David, Liam und Sarah waren damals das Dreamteam der Schule gewesen. Den einen gab es ohne den anderen nicht.
»Sarah? Du meinst unsere Sarah?« Liams Stimme hatte trotz des Schocks an Festigkeit hinzugewonnen. »Ihr zwei wollt heiraten?«
David lächelte, doch Liam hatte den Eindruck, als wäre es mehr Schein als Sein, eben aus dem Grund, weil man in solch einer Situation eben lächelte. »Die Hochzeit findet am Sonntag auf unserem Anwesen statt. Dort regiert zurzeit nur noch das Chaos.«
»Das ist in zwei Tagen.« Liam schluckte merklich.
»Ja, wenn ich mich nicht verrechnet habe.« David sah sich um und dann blickte er Liam tief in die Augen. Im selben Moment machte Liams Herz einen freudigen Hüpfer. »Wie wär‘s? Wir schnappen uns was zu trinken und verschwinden nach draußen? Hier ist es furchtbar laut und heiß.«
Diese wunderschönen glänzenden Augen ließen Liam dahinschmelzen. Sie hatten ihn schon vor zehn Jahren in ihren Bann gezogen, und auch jetzt fühlte er sich wieder wie verzaubert. In jenem Moment hätte David ihn überallhin einladen können, er wäre ihm bis in die Hölle gefolgt.
»Sehr gute Idee.« Liam deutete mit dem Kinn in Richtung Bar. »Lass uns etwas holen und dann verschwinden. Ob die Tribüne vom Footballfeld noch existiert?«
David zwinkerte ihm zu. »Zufällig weiß ich, dass sie noch immer dort steht. Was willst du trinken? Ich besorge uns was.«
»Wie wäre es mit einem Wodka Tonic.«
»Gute Wahl. Ich bin sofort zurück.«
David drehte sich um und lief schnurstracks auf die inzwischen nicht mehr belagerte Bar zu. Unterwegs wurde er von einigen Leuten angesprochen, die er jedoch schnell abwimmelte. Schließlich kam er mit zwei Gläsern zurück. Eines davon reichte er an Liam.
Keine fünf Minuten später hatten sich die beiden ehemals besten Freunde zurückgezogen. Sie saßen in der obersten Reihe der Tribüne und sahen über das Spielfeld hinweg. In der heutigen Nacht war es nicht bewölkt, und so spendete der Halbmond ihnen genügend Licht.
»Sind das vorne auf dem Parkplatz Paparazzi?«, erkundigte sich Liam, der sie beim Hinausgehen flüchtig in den Augenwinkeln wahrgenommen hatte. Zum Glück hatte Carol im Vorfeld für Parkplatzwärter gesorgt, die unerlaubte Besucher von der Veranstaltung fernhielten.
»Das ist das Los, wenn man plötzlich jeden Sonntag im Sportkanal zu sehen ist«, kommentierte David die Frage mit einem Grinsen. Dann schüttelte er frustriert den Kopf. »Oh, glaube mir, das macht keinen Spaß. Egal wo ich hingehe, überall steht immer jemand mit einer Kamera. Das ist verdammt nervig. Dabei hatte ich gehofft, dass niemand irgendwas mitbekommt. Ich vermute ja schon länger, dass sie eine Kopie meines Terminplaners in ihren Besitz gebracht haben.«
»Das kann ich mir gut vorstellen. Ich hätte schon längst Panik bekommen.«
»Die bekomme ich immer dann, wenn ich nach Hause komme. Doch mittlerweile ist mein Haus mit einem guten Sicherheitssystem versehen worden. Kameras und Wachmänner, die mit vier Hunden rund um die Uhr Wache halten. Blickdichte Hecken rundherum und dazu fast zwei Hektar Garten, mit vielen Bäumen und Sträuchern. Außerdem fährt die Polizei dort regelmäßig Streife.«
»Du hast es wirklich weit gebracht.« Liam lächelte und nahm einen Schluck von seinem Drink.
»Bei den Rennen ja. Wenn du das Katz-und-Maus-Spiel mit der Presse meinst, dann wünschte ich mir, ich wäre ein unscheinbares Licht in der Boxengasse. Am Anfang ist es ein wahnsinniges Gefühl, plötzlich wollen alle nur noch dich. Tja, und dann spielt sich dein Leben nicht mehr privat, sondern in den Hochglanzmagazinen und Klatschblättern ab. Eine Lüge jagt die andere.« David lehnte sich gegen die Rückenlehne des Schalensitzes und legte den Kopf in den Nacken. Sein Blick richtete sich in den sternenklaren Nachthimmel.
Liam beobachtete heimlich sein Profil. In diesem Augenblick war er ihm so nah, wie schon lange nicht mehr. Die Erinnerung an ihren ersten und letzten gemeinsamen Kuss drängte sich immer weiter in den Vordergrund. Genau hier in diesem Stadion war es passiert.
Damals war Neumond gewesen. Heimlich hatten sie sich vom jährlichen Frühjahrsfest der Schule aufs Spielfeld geschlichen. Das war in ihrem letzten Schuljahr. Liam war nur drei Monate später aufs College gegangen, David hatte bereits seinen ersten Vertrag bei einem aufstrebenden Rennstall unterschrieben. Gemeinsam hatten sie ihren Mitschülern einen Streich gespielt und mit grellgelber Sprühfarbe einen riesigen Smiley auf das Gras des Spielfeldes gesprüht. Sarah hatte damals draußen Wache gehalten. Lachend waren sie zu Boden gefallen und hatten sich gegenseitig geneckt. Bis zu jenem magischen Moment, als Liam rittlings auf Davids Hüfte gesessen und sie sich im Schein der kleinen Taschenlampe in die Augen gesehen hatten.
Liams Herz hämmerte damals wie heute wild in seiner Brust. Er sog den Duft von David ein, der unvergleichbar nach herber Zedernnote und Sandelholz roch. Und schließlich hatte er sich ganz langsam nach vorne gebeugt. David hatte ihn angelächelt und dann hatten sie sich berührt. Eine zarte Berührung, die für Liam damals pures Aphrodisiakum gewesen war. Seine Gefühle waren Achterbahn gefahren. Zuerst scheu hatte er mit der Zunge Davids Lippen gestreichelt, bis er sie einen Spaltbreit geöffnet und sie sich in einem verspielten und doch leidenschaftlichen Kuss verloren hatten.
»Ich kenne deine Reiseberichte«, riss David ihn aus seinen Erinnerungen. Verwirrt schüttelte Liam sie ab, aber es wollte ihm nicht gelingen. Neben ihm saß der Mann seiner Träume, der Mann, in den er sich vor zehn Jahren unsterblich verliebt hatte. Am liebsten wäre er David um den Hals gefallen und hätte ihn hemmungslos geküsst. Doch er mahnte sich zur Zurückhaltung. Damals hatte sich David sofort nach ihrem Kuss von ihm distanziert. Zuerst körperlich, und nach ihrem Abschluss schließlich für immer. Jetzt hatte Liam eine zweite Chance erhalten und diese wollte er nutzen. Inzwischen war er reifer und wusste, dass ihm Davids aufrichtige Freundschaft mehr bedeutete, als ihn mit seinen Gefühlen erneut von sich zu stoßen.
»Weißt du … wenn ich nur einmal um die ganze Welt reisen könnte, fremde Kulturen kennenlernen und exotische Orte erforschen könnte, ich würde jedes Rennen sofort sausen lassen. Und am besten mit dir als meinem persönlichen Reiseführer. Du hast mehr gesehen, als ich je sehen werde. Schau nicht so überrascht.« David grinste. »Meinst du, ich hätte mich nicht dafür interessiert, was mein bester Freund in all den Jahren so getrieben hat, nachdem wir uns aus den Augen verloren haben. Ich habe jeden Bericht von dir gelesen. Einfach Wahnsinn. Du warst in Tibet, in der Mongolei und sogar schon auf Safari. Glaube mir … ich war ab und zu ein wenig eifersüchtig auf dich.«
In diesem Moment schämte Liam sich. Er gab sich die Schuld, dass ihr Kontakt abgebrochen war, und das wusste David. Ihr Kuss hatte zwar einen hauchfeinen Riss in ihre Freundschaft gerissen, doch es war David gewesen, der versucht hatte sich mit Liam nach dem Schulabschluss öfter zu treffen. Liam hatte es jedoch nie übers Herz gebracht. Er war nicht fähig gewesen seine Gefühle zu verstecken. Vor allem dann nicht, seit David und Sarah ihm an ihrem Abschlussball offenbart hatten, dass sie ein Paar waren. Und Sarah war es, die David in zwei Tagen heiraten würde.
Liam spürte erneut einen Stich mitten im Herz, aber ließ sich nichts anmerken.
»Ich hätte dich sehr gerne mitgenommen. Nur leider ist die Zeit als Reisejournalist wohl vorbei für mich.«
»Warum?«
In knappen Sätzen erzählte er von der heutigen Hiobsbotschaft seines Chefs und endete mit einem frustrierten Seufzer.
»Du arbeitest doch als freier Journalist, oder?«
Liam nickte.
»Dann such dir einfach ein anderes Magazin. Die gibt es doch wie Sand am Meer.«
»Wenn das nur so einfach wäre. Selbst in meiner Branche muss man sich inzwischen mit Ellenbogen durchkämpfen. Allerdings habe ich etwas vor. Bisher habe ich es noch niemandem erzählt, du bist der Erste.« Er grinste David schief an. »Ich möchte ein Buch über meine Reisen schreiben. Über meine Erfahrungen und über die Menschen, die ich kennenlernen durfte.«
»Das ist klasse! Ich bin dein erster Leser. Lach nicht, das ist mein Ernst.«
Anschließend lachten beide, prosteten sich zu und tranken einen Schluck.
»Bist du eigentlich wirklich nur wegen des Klassentreffens gekommen?«, bohrte Liam nach und wollte damit das Gespräch von seinem Job ablenken. Außerdem beschlich ihn auf einmal eine Ahnung.
»Erwischt. Natürlich bin ich wegen dir hier. Wegen wem denn sonst? Meinst du, ich würde freiwillig hierherkommen, nur um mir das Gejammer von denen anzuhören, dich mich früher für einen Spinner hielten? Gerade du solltest mich besser kennen.«
»Wusste ich es doch.« Liams Herz machte einen weiteren Hüpfer. »Tja, und ich befürchte, die Bankkonten von Peter, Carol und all den anderen Versagern haben ein paar Nullen zu wenig, um mit dir mithalten zu können.«
»Das auf jeden Fall. Alles feinsäuberlich angelegt. Trotzdem war es seltsam, plötzlich eine Einladung zu bekommen. Aber ich wollte mir nicht die Chance entgehen lassen, dich wiederzusehen. Außerdem hat Sarah wirklich darauf bestanden. Dass sie mir nicht die Pistole auf die Brust gesetzt hat, war alles.«
Beide prusteten los und plötzlich fand Liam sich in Davids Umarmung wieder. Er drückte sich fest an ihn. Liam spürte Davids Atem, der sanft seinen Nacken streichelte. Und schon wieder war sein Körper in Aufruhr. Seine Haut kribbelte, er hatte eine ganz trockene Kehle und für einen winzigen Augenblick flatterten kleine Schmetterlinge in seinem Bauch. Schließlich zog sich David wieder zurück, wobei er Liams Wange mit den Lippen streifte, bevor er ganz von ihm abließ.
»Verdammter Mist, ich habe dich vermisst.«
»Und ich dich erst.« Zu mehr Worten war Liam nicht fähig. Wenn er es nicht besser wüsste, hätte er meinen können, David hatte sich von ihm mit einen hauchzarten Kuss auf die Wange gelöst. Ein heißkalter Schauer erfasste ihn und hätte er nicht gesessen, hätte er sich spätestens jetzt setzen müssen.
»Ich sag‘s ja nur ungern, aber ich muss mich wieder auf den Weg machen. Aber vorher habe ich ein Angebot für dich.» David grinste breit von einem Ohr zum anderen. »Bevor dein Chef dich feuert, kommst du zu unserer Hochzeit und machst den exklusivsten Bericht, den es gibt.«
»Was?« Für einen Moment glaubte Liam, sich verhört zu haben. »Das ist doch ein Scherz?«
»Nein. Ich meine es absolut ernst. Die Paparazzi sind ganz scharf darauf. Stell dir aber vor … keiner von denen hat auch nur den Hauch einer Chance. Du dagegen bist als Freund hautnah dabei. Exklusive Fotos. Exklusive Interviews. Und dazu ein erstklassiger Bericht.«
»Aber … aber …«, stotterte Liam.
»Kein Aber … sondern … ja, ich komme sehr gerne«, antwortete David für ihn. Dabei stand er auf und sah auf seine Armbanduhr. Von hier zu mir sind es knappe zwei Stunden. Sagen wir morgen um 15 Uhr bei mir. Warte, du bekommst auch meine Adresse.« David griff in seine Hosentasche und zog eine zerknitterte Visitenkarte heraus, die er an Liam weiterreichte. »Da steht alles. Meine Adresse, Handynummer und Email.«
»Ich kann doch nicht einfach …«
»Klar kannst du. Und wenn du nicht kommst, werde ich persönlich kommen und dich holen. Central Ave 198. Stimmt doch, oder?«
»Du … du kennst … meine Adresse«, stammelte Liam verwirrt und bekam von David ein schelmisches Augenzwinkern geschenkt.
»Ich kenne sie schon ein wenig länger, als du denkst«, gestand ihm David. »Wärst du heute nicht hier gewesen, wäre ich zu dir gefahren und hätte dir die Hochzeitseinladung in den Briefkasten geworfen. Ich wünsche mir so oder so, dass du kommst. Ich möchte, dass mein bester Freund an meiner Seite steht.«
Sprachlos starrte Liam ihn an. Er wusste nicht, was er denken oder fühlen sollte. Von einem Moment zum anderen hatte sich sein Leben erneut verändert. Ob zum Positiven oder zum Negativen, das wusste er nicht. Aber er würde es wohl nur herausfinden, wenn er dem Wink des Schicksals folgen würde.
»Sarah würde sich übrigens sehr freuen, wenn du kämst. Sie hat dich genauso vermisst wie ich. Aber jetzt muss ich leider wirklich los. Morgen früh um sieben Uhr hat sich bereits die Hochzeitsplanerin angemeldet. Ich möchte gar nicht daran denken.«
Liam fand seine Fassung zurück und lächelte. »Du hast mich überredet.«
»Wunderbar!« David strahlte und drückte ihm sein Glas in die Hand. »Sei mir nicht böse, aber ich verschwinde. Wir sehen uns morgen und danach machst du ein paar Tage Urlaub bei mir. Wir haben ein Gästehaus, das kannst du ganz alleine bewohnen.«
Bevor Liam etwas antworten konnte, war David bereits zehn Reihen nach unten gestürmt. Schon wieder verspürte er dieses untrügliche Gefühl, als hätte David ihn fluchtartig verlassen, genau wie damals vor zehn Jahren. Doch dieses Mal war es nicht für immer, sondern schon morgen würden sie sich wiedersehen. Ein Hochgefühl breitete sich in ihm aus, das leider von dem Gedanken begleitet wurde, dass er ausgerechnet an Davids Hochzeit teilnehmen würde.

* * *

Nervös fuhr Liam die Auffahrt zum Grundstück hinauf und staunte über alle Maßen. Er wusste, dass David inzwischen Millionen verdiente, aber als er diesen Luxus sah, war er sprachlos. Langsam näherte er sich der zweistöckigen Villa, die in Form und Farbe den Gebäuden des südlichen Europas nachempfunden war. Hell, mit modernen und verspielten Architektureinflüssen aus der Toskana. So präsentierte sich das Haus. Es war wunderschön anzusehen. Drumherum war ein großflächiger Garten angelegt und hinter der Villa vermutete er einen Swimmingpool. Das gesamte Grundstück wurde von hohen Hecken abgeschirmt. Als er schließlich aus dem Auto ausstieg, kam ihm ein junger Mann entgegen, der sich als Tom vorstellte. Wie Liam von ihm erfuhr, kümmerte er sich um die Autos der Gäste, die für die morgige Hochzeit eintrafen. Tom verwies Liam schließlich an eine junge Frau, die aus dem Haus kam und ihn mit einem Lächeln begrüßte.
»Ich bin Ally. Ich kümmere mich um die Gäste und natürlich um die Hochzeit«, trällerte sie fröhlich. »Sie sind wohl der Reporter?«
»Liam Murray«, stellte er sich nickend vor.
»Wunderbar. Mr. Price wartet bereits auf Sie.«
»Und was ist mit meinen Sachen?«, wollte er wissen und sah in die Richtung, in der sein Auto in einer Garage verschwand.
»Keine Sorge. Sie werden auf Ihr Zimmer gebracht. Möchten Sie sich vielleicht vorher noch frisch machen?«
»Das wäre super. Ich bin fast drei Stunden Auto gefahren.«
Ally lächelte. »Natürlich. Ich bringe Sie auf Ihr Zimmer und werde Mr. Price Ihr Eintreffen mitteilen.«
Durch eine Handbewegung lud sie Liam ein, die fünf Stufen zur Haustür hinaufzugehen. Wie er dabei erkennen konnte, bestanden sie aus weißem Marmor. Die dunkle Holztür hatte goldene Griffe und im Inneren setzte sich der Luxus fort. Die Räume waren hell und modern eingerichtet. Kunstwerke hingen an den Wänden, die sich mit Designermöbeln abwechselten.
In meinem nächsten Leben werde ich auch Rennfahrer, dachte er sarkastisch und bestaunte das exquisite Bild, welches sich ihm bot.
Er folgte der blonden Ally die geschwungene Treppe nach oben und bekam von ihr ein Gästezimmer zugewiesen. Als er eintrat, war er überrascht, denn seine Reisetasche, die Laptoptasche und seine kostbare Kamera hatte jemand bereits hierher gebracht.
»Für wann darf ich Sie ankündigen, Mr. Murray?«, fragte Ally.
»Sagen wir in einer halben Stunde.«
Ally nickte. »Getränke finden Sie in diesem kleinen Minikühlschrank dort vorne. Essen wird in ungefähr drei Stunden serviert. Wir sehen uns.«
Liam verabschiedete sie mit einem Lächeln und atmete tief durch, als die Tür endlich geschlossen war. Nun konnte er das Gesehene verarbeiten. Auf den ersten Blick gefiel ihm Davids Domizil, aber es löste bei ihm auch einen schalen Beigeschmack aus. Er hatte diesen ungewöhnlichen Hochzeitsbericht nur angenommen, weil er seinen Job behalten wollte. Das redete er sich nach Davids gestrigem Abschied ein. Doch jetzt war er sich nicht mehr so sicher. Dieser Prunk und die Zurschaustellung von Geld war nicht seine Welt. Nicht dass er es nicht mochte. Immerhin besaß er selbst genug, um sich ein schmuckes Häuschen mit großem Garten und ein teures Auto zu kaufen, wenn er wollte. Stattdessen bevorzugte er seine gemütliche Drei-Zimmer-Wohnung, in der er sich wohlfühlte und nicht ständig aufpassen musste eine teure Vase umzuwerfen, die so viel kostete, wie er in einem Monat verdiente. Allerdings war er hier in Davids Zuhause. Ihm musste es gefallen. Immerhin riskierte er für diesen Luxus bei jedem Rennen sein Leben. Dafür konnte und wollte er ihn nicht verurteilen.
Wie schnell sein Leben sich innerhalb von nicht einmal vierundzwanzig Stunden verändert hatte. Zuerst der Rauswurf seines Exfreundes, dann das Klassentreffen und nun befand er sich so nah bei David, dass es ihm wie ein Traum vorkam. Neugierig wanderte er durch das Gästezimmer und kam ins Bad. Kurz darauf stand er unter der Dusche und das lauwarme Wasser perlte an seinem Körper ab. Dabei schweiften seine Gedanken wieder zu David und ihrer Freundschaft.
Das Schicksal hatte zugeschlagen und ihnen beiden eine zweite Chance geschenkt. Doch warum war es so grausam zu ihm? Seine sehnsüchtigen Gefühle für David waren wieder mit geballter Kraft in ihm aufgeflammt, hatten ihn mit einer ihm unbekannten Intensität überrannt und er war machtlos dagegen. Er fühlte sich hilflos und ohnmächtig sich gegen sie zu wehren, genauso wie vor zehn Jahren. Schon damals hatte er geahnt, dass David nur freundschaftliche Gefühle für ihn hegte, wenn auch der Wunsch nach ihrem ersten und letzten Kuss in ihm eine Hoffnung geweckt hatte, für die er sich heute schämte. David war und blieb für ihn ein hoffnungsloser Traum.
»Das musst du endlich akzeptieren«, sagte er laut zu sich und drehte das Wasser ab. »Wir waren so lange beste Freunde und wir können es wieder werden. Also schlag dir endlich diese Gefühlsduselei aus dem Kopf.«
Seufzend stieg er aus der Dusche, trocknete sich ab und zog sich an. Zum Schluss betrachtete er sich im Spiegel. Er trug eine schwarze Jeans, dazu dunkle Lederschuhe. Er hatte sich für ein weißes Hemd entschieden, darüber ein schwarzes Jackett. Seine dunkelblonden Haare hatte er verwuschelt gelassen. Außerdem hatte er sich heute für einen Spritzer Parfüm entschieden. Seinen silbernen Ring zog er noch an den linken Finger, den er seit dem Abschlussball trug und damals ein Geschenk von Sarah gewesen war. Auf ihm waren verschlungene keltische Runen zu erkennen. Er liebte ihn über alles.
Nachdem er mit seinem Aussehen zufrieden war, schnappte er sich sein Notizbuch und einen Kugelschreiber und öffnete mit einem weiteren Seufzer die Tür. Im selben Moment prallte er mit einer Frau auf der Türschwelle zusammen.
Erschrocken machte er einen Schritt zurück und murmelte eine Entschuldigung.
»Das gibt es nicht! Ich traue meinen Augen nicht. Liam! Du bist es wirklich«, stieß die Frau vor purer Freude aus und warf sich ihm an den Hals. Zuerst zögerlich, doch dann erwiderte er ihre feste Umarmung mit der gleichen Intensität.
»Sarah!«, sagte er, als sie sich voneinander trennten und gegenüberstanden. »Du bist es wirklich. Ich kann es kaum glauben. Wo ist das freche junge Mädchen geblieben?« Liam lächelte sie an und war tatsächlich positiv überrascht. In diesem Moment vergaß er sogar, dass sie Davids Verlobte war. Für ihn war sie wieder die gute Freundin von einst. Das Mädchen, mit dem er früher anderen Streiche gespielt, mit dem er Hausarbeiten gemacht und das nur zwei Häuser neben ihm gewohnt hatte.
»Du … du siehst so … fantastisch aus«, stammelte er und spürte seinen beschleunigten Herzschlag.
Sarah war groß, schlank und eine wahre Augenweide. Ihre langen, blonden Haare fielen ihr lockig über die Schulter. Sie trug ein eng anliegendes schwarzes Kleid ohne Ärmel, dazu hochhackige Schuhe. Ihr Make-up war sehr dezent und hob die Schönheit ihres Gesichts hervor. Wenn er es nicht besser wüsste, hätte er geglaubt einem Model aus einer Modezeitschrift gegenüberzustehen.
»Was soll ich da sagen?« Sie lächelte ihn an. »Vor mir steht ein Traummann wie aus dem Hochglanzmagazin. Wahnsinn! Wo hast du dieses Mittel versteckt?«
Er sah sie fragend an.
»Na das, wo man mindestens zehn Jahre jünger und nicht älter aussieht.«
Beide lachten und fielen sich noch einmal in die Arme.
»Ich wollte es David zuerst nicht glauben, als er mir heute Morgen beim Frühstück erzählte, dass er dich eingeladen hat. Ganz ehrlich, ich hatte gedacht, er würde einen Scherz machen. Und jetzt. Jetzt stehst du leibhaftig vor mir. Die Überraschung ist dir absolut gelungen. Du musst mir alles erzählen. Und ich warne dich, lass kein dreckiges Detail aus.«
»Noch genauso neugierig wie früher?«, fragte Liam und zwinkerte ihr zu.
»Neugieriger.« Sie lachte und hakte sich bei ihm unter. Gemeinsam liefen sie zur Treppe. »Meine Güte, wie ich dich vermisst habe. Was hast du denn gemacht? Warum hast du nicht einmal angerufen? David hatte mehrmals nach dem Abschluss versucht, dich zu erreichen, aber irgendwann hat er es aufgegeben.«
»Ich könnte jetzt lügen, aber das will ich gar nicht«, antwortete Liam und ignorierte den schweren Stein, der plötzlich in seinem Magen lag. »Inzwischen schäme ich mich, weil ich den Kontakt so abreißen ließ. Doch das Studium war sehr anstrengend und gleich danach bekam ich diese Stelle als Reisereporter. Anschließend hatte ich ehrlich gesagt nur noch Stress, aber auch viele Abenteuer.«
Sarah sah ihn an und nickte. »Also von den Reisen musst du mir auf jeden Fall berichten. Die sind bestimmt tausendmal interessanter, als ein Wochenende in der Boxengasse, vor allem, wenn es regnet.«
»Als ich in der Mongolei war, hatte es von vier Wochen drei geregnet. Unser Jeep ist mehrmals im Schlamm versunken. Die meiste Zeit lag die Tundra im Nebel und ich sag dir, es war purer Stress.«
Wieder lachten beide und Sarah führte ihn nach unten, bis sie vor einer geschlossenen Tür stehen blieben. Dort ließ sie ihn los und knetete nervös die Hände.
»Ich warne dich vor … meine Eltern sind bereits eingetroffen. Eigentlich wollten sie erst morgen früh anreisen, aber du kennst meine Mutter bestimmt noch, oder? Sie denkt, ohne sie läuft nichts. Heute Vormittag hatte sie sich sogar schon mit meiner Freundin Ally angelegt. Sie ist meine …«
»Hochzeitsplanerin«, beendete Liam ihren Satz und grinste. »Habe Ally schon kennengelernt. Und an deine Mutter kann ich mich noch sehr gut erinnern. Rechthaberisch, arrogant und ein fieser Hausdrache.«
»Genau. Das ist sie.«
»Also alles beim Alten?«
Als Antwort zwinkerte Sarah ihm erneut zu.
»Ich fasse es immer noch nicht. Du und David. Es freut mich für euch.«
»Danke.« Sarah machte einen Schritt auf ihn zu und hauchte Liam einen Kuss auf die Wange. »Ich glaube es ja selbst noch nicht. Als ich ihm vor einem halben Jahr den Heiratsantrag machte, hätte ich niemals damit gerechnet, dass er Ja sagen würde.«
»Warum?«
»Wie soll ich sagen … David ist nicht so der Typ, der sich im großen Stil an jemanden kettet. Oder anders gesagt, er findet Hochzeiten bei jedem anderen toll, doch er selbst würde am liebsten in einem stillen Kämmerlein sitzen, die Ringe tauschen und danach gleich in die Flitterwochen düsen. Dieser ganze Pom-Pom geht ihm auf die Nerven.«
»Oh ja, das kenne ich.«
Beide lachten.
»Bist du bereit?«
Liam nickte.
Sarah öffnete die Tür zum Wohnzimmer und bat ihn hinein. Vor ihm breitete sich ein großer Raum aus, in dem seine gesamte Wohnung Platz gehabt hätte. Eine Wand war vollgestellt mit Regalen und jeder Menge Bücher. Gegenüber hingen ein riesiger Plasmafernseher und Lautsprecherboxen. Dazwischen thronten eine weiße Ledercouch und zwei Sessel. Liam lief zwei Schritte weiter und entdeckte seitlich hinter der Tür eine kleine Bar, die mit Spiegeln und Glasregalen äußerst edel wirkte. Es gab sogar einen Tresen mit vier Barhockern.
Staunend folgte er Sarah und kam dabei an einem steinernen Rundbogen vorbei. Ein Blick hindurch zeigte ihm das Esszimmer. Zwei Frauen im typischen Hausmädchen-Look waren gerade dabei den Tisch zu decken.
»Ihr zwei habt es wirklich geschafft«, sagte er anerkennend.
»Das ist alles mehr Schein als Sein«, kommentierte Sarah und drehte sich zu ihm um.
»Wenn ich mich hier so umsehe, fehlt es euch doch an nichts.«
Sarah zuckte die Schultern. »Mag sein. Aber die zwei Hausmädchen sind nur geliehen. Ansonsten ist das eigentlich meine Arbeit.« Sie seufzte. »Zweimal in der Woche kommt eine Putzfrau, die restlichen Tage gehört mir das Haus fast allein. Ally und ich lassen es uns manchmal hier richtig gut gehen. Ab und zu kommt auch mein Bruder mit seiner Familie vorbei, dann bringen sie die Kinder mit. Ansonsten gibt es viele DVD-Abende mit Ally oder wir machen einen Mädelsabend, wenn sie noch ein paar Freundinnen mitbringt.«
»Das verstehe ich nicht.« Liam war verwirrt.
»Liegt das nicht auf der Hand?« Abermals hakte sie sich bei ihm ein und schmiegte sich an ihn. »David ist von morgens bis abends weg. Entweder er trainiert, oder er hat wichtige Besprechungen mit den Mechanikern oder dem Manager. Deswegen haben wir noch eine Wohnung in der Nähe des Trainingslagers. David ist, wenn er denn mal da ist, eigentlich nur am Wochenende hier.«
»Wer weiß … vielleicht ändert sich das bald«, flüsterte er ihr zu und legte einen Arm um sie. »Oder du änderst selbst etwas daran und wohnst unter der Woche mit ihm in der Wohnung.«
Sie löste sich von ihm und nahm Liam an der Hand. Beide sahen sich tief in die Augen und er konnte in Sarahs Hellblau eine Schwermut erkennen, die ihn erschreckte.
»Danke. Diesen Vorschlag könnte ich ihm mal unterbreiten.« Sie streckte sich ein wenig nach oben und gab Liam einen Schmatzer auf den Mund. »Du bist immer noch mein bester Freund. Egal ob nach zehn Jahren oder nach zwanzig. Du bist der Liam, den ich schon immer kannte.«
Er lächelte sie verlegen an und versuchte nicht an das zu denken, was sie ihm eben erzählt hatte. In seiner Vorstellung waren David und Sarah das perfekte Paar. Doch nun bekam dieses Bild Risse, die ihn an sein eigenes Leben erinnerten. Trotz seiner bisherigen Beziehungen hatte er sich schon immer einsam gefühlt.
»Wir sollten uns langsam beeilen«, meinte Sarah und strotzte plötzlich wieder vor Fröhlichkeit. »Sie warten alle draußen im Pavillon.«
Sie zog ihn hinter sich her und er folgte ihr. Vom Wohnzimmer ging es auf die Terrasse und an einem großen Swimmingpool vorbei in den Garten. Nach etwa zwanzig Meter erreichten sie einen achteckigen Gartenpavillon aus weißem Holz. Er war mit Lampions und roten Rosen geschmückt und in der Mitte stand ein runter Tisch. Drum herum saßen David und Sarahs Eltern. Sie sahen sie jedoch nicht kommen, sondern bemerkten sie erst, als Sarah sich räusperte.
»Liam!«, rief David und sprang auf, wobei er sogar den Stuhl umwarf. »Liam, du bist tatsächlich gekommen.«
Ehe er wusste, was geschah, fiel David ihm um den Hals und drückte ihn fest an sich. Liam erwiderte die Umarmung mit der gleichen Intensität und sog Davids verführerischen Duft ein. Er konnte kaum genug davon bekommen. Im selben Moment klopfte sein Herz ihm bis zum Hals und ein angenehmes Kribbeln erfasste seinen Körper.
»Du bist da. Das bedeutet mir mehr als alles andere auf dieser Welt«, murmelte David ihm leise ins Ohr. Als er sich wieder zurückzog, hatte Liam erneut das gewisse Gefühl, als würden Davids Lippen seine Wangen nicht nur streifen, sondern dass er ihn am liebsten geküsst hätte. Dieses Empfinden war so stark, dass Liams Gefühlswelt augenblicklich wieder Achterbahn fuhr. Doch er hatte sich im Griff. Zum wiederholten Mal redete er sich ein, dass er nur als Freund, aber vor allem als Berichterstatter hier war, der seine Arbeit erledigen wollte.
»Mum. Dad. Darf ich euch vorstellen: Liam Murray«, sagte Sarah und nahm Liam wieder an der Hand, während David einen Schritt zur Seite machte.
»Murray? Murray?«, murmelte Sarahs Mutter vor sich hin, bis sie plötzlich begriff. »Sind Sie nicht auf der gleichen High-School wie Sarah gewesen?« In ihrem Gesicht spiegelte sich jedoch kein Wiedererkennen, sondern Arroganz wider. Sie verzog die Mundwinkel zu einem aufgesetzten Lächeln.
»Ja, Mrs. Connelly«, antwortete Liam höflich und reichte ihr die Hand. »Ihre Tochter, David und ich waren schon damals sehr eng miteinander befreundet.«
»Ich kann mich an Sie erinnern«, sagte Mr. Connelly und begrüßte Liam freundlich lächelnd. Sein fröhlicher Gesichtsausdruck stand im krassen Gegenteil zu dem seiner Frau.
Nachdem sie sich alle vorgestellt hatten, nahm Liam neben David Platz, Sarah setzte sich zwischen ihren Vater und baldigen Ehemann, doch vorher bekam er ein kühles Glas Eistee eingeschenkt.
Während Mr. Connelly und David Liam sofort mit Fragen bestürmten und es sich sehr schnell herausstellte, was er beruflich tat und wieso er hier war, beobachtete er aus den Augenwinkeln immer wieder Mrs. Connelly, die ihn argwöhnisch musterte. Schließlich lenkte Sarah das Gespräch auf früher und bis Ally zum Abendessen rief, schwelgten die drei damaligen Freunde in ihren Erinnerungen von damals.

* * *

Bevor sich alle im Esszimmer am Tisch versammelten, entschuldigte sich Sarahs Mutter, denn sie wollte sich vorher noch umziehen. Ihr Mann ging mit ihr. Nachdem sie verschwunden waren, entschuldigte sich Sarah mehrmals für das Verhalten ihrer Mutter, doch Liam tat es mit einem Lächeln ab. David amüsierte sich dabei köstlich und auf dem Weg zum Essen erzählte er ihm ein paar Anekdoten, die er als künftiger Schwiegersohn bisher mit ihr erlebt hatte.
Schließlich nahmen alle Platz und Liam musste ein Seufzen unterdrücken. Auf seiner Seite saßen Sarah, David und er, aber ihm gegenüber setzte sich ausgerechnet Mrs. Connelly. Daneben ihr Ehemann und Ally.
»Das packst du schon«, flüsterte David ihm zu. »Rate mal, warum meine Eltern erst morgen früh kommen.«
»Was für Glückspilze«, gab er sarkastisch zurück und beide lachten los.
Kurz darauf wurde auch schon der erste Gang serviert. Ally war für das Essen zuständig und erklärte stolz, was vor ihnen auf dem Teller angerichtet war. Es gab Blattsalat im Parmesankörbchen mit Champignons, Mangos und Zitronendressing. Liam probierte und fand es fantastisch.
»Entschuldigen Sie«, sprach Mrs. Connelly ihn plötzlich an. »Kann es sein, dass Sie den gleichen Ring, wie meine Tochter tragen?« Verwirrt starrte sie auf Liams linken Ringfinger.
»Und ob, Mum«, antwortete Sarah und hob ihre linke Hand. Sie trug ihren am Mittelfinger, wo er Liam zuvor überhaupt nicht aufgefallen war. »Ich habe ihm diesen Freundschaftsring geschenkt.
»Ich habe meinen auch noch, nur trage ich ihn im Moment nicht«, fügte David hinzu und schenkte Liam ein Lächeln.
Dass beide noch ihre Ringe besaßen, Sarah ihren sogar noch trug, erfüllte ihn mit Stolz.
»Sind Sie eigentlich verheiratet, Mr. Murray?«, erkundigte Sarahs Mum sich auf einmal mit regem Interesse. »Oder verlobt? Haben Sie vielleicht eine Freundin?«
»Nein. Zurzeit bin ich Single. Ich habe leider noch nicht den Richtigen gefunden.«
Mrs. Connelly verschluckte sich im selben Augenblick an ihrem Salat und bekam einen Hustenanfall. Erst nachdem sie ein halbes Glas Wasser getrunken hatte, schien sie sich wieder im Griff zu haben. Mit gerümpfter Nase starrte sie Liam an.
»Ich habe mich doch verhört. Oder sagten Sie eben tatsächlich, Sie hätten den Richtigen noch nicht gefunden?«
»Ja, das sagte ich. Bisher ist mir Mr. Right noch nicht begegnet.«
»Soll das heißen, Sie sind homosexuell?«
»Der Salat ist köstlich. Habe ich nicht recht, Mum?«, kam es von Sarah lauter als nötig.
»Dann freut euch schon auf den zweiten Gang«, mischte sich Ally ein. »Tagliatelle mit Shrimps und Parmesanschaum. Danach gibt es Champagner Frappé, garniert auf Citrus-Safran-Sorbet mit Navelorangen.«
»Kind, mich interessiert dieses Grünzeugs und die Orangen nicht«, wandte sich Mrs. Connelly zuerst an ihre Tochter, dann an Ally, nur um sofort wieder ihren Blick zu Liam wandern zu lassen.
Aus den Augenwinkeln bemerkte Liam seinen besten Freund, der nervös auf dem Stuhl herumzurutschen begann.
»Das ist eine Ungeheuerlichkeit«, platzte es aus Mrs. Connelly heraus. »Sie sind krank, Mr. Murray. Sie müssen dringend zu einem Arzt. Seit wann wissen Sie es denn schon?«
Es war nicht das erste und würde sicherlich auch nicht das letzte Mal sein, dass er sich gegen Anfeindungen für seine sexuelle Vorliebe zum eigenen Geschlecht behaupten musste. Aber ausgerechnet an diesem Tisch mit seinen Freunden fühlte er sich plötzlich angreifbarer als jemals zuvor. Unbewusst ballte er die linke Hand zur Faust und ließ mit der anderen die Gabel fallen. Auf einmal war es so still im Raum, dass man sogar eine Stecknadel hätte fallen hören können.
»Wenn es Sie so brennend interessiert, Mrs. Connelly«, erwiderte Liam und versuchte seinen Tonfall beherrscht klingen zu lassen, »dann erzähle ich Ihnen sehr gerne von meiner Abnormität. Gewusst hatte ich es mit dreizehn. Meine ersten Gay-Pornos habe ich mit vierzehn gesehen und dabei masturbiert. Meinen ersten Analsex hatte ich mit sechzehn. Lassen Sie mich überlegen … ich hatte ungefähr so dreißig Schwänze im Mund und habe sie gelutscht. Ach ja, und natürlich hatte ich bisher auch genauso viele in meinem Hintern.«
»Das ist ja widerlich!«, mokierte Mrs. Connelly sich und vergaß ihre guten Manieren. Sie ließ ihr Besteck fallen und griff nach der Serviette, die auf ihrem Schoß lag, und hustete mehrmals hinein. Anschließend wandte sie sich zuerst an Sarah, dann an David. »Mein Kind, du hast es zugelassen, dass ich einem schwerkranken Mann die Hand schüttle. Und du, David, hast ihn auch noch umarmt. Vielleicht habt ihr zwei euch angesteckt. Ihr müsst dringend zu einem Arzt. Am besten lasse ich mich auch gleich untersuchen. Oh Gott … und das so kurz vor der Hochzeit.«
Alle im Raum schwiegen. Ihr Mann und Sarah sahen sie schockiert an. Ally schluckte merklich. David schien die Welt nicht mehr zu verstehen und Liam kochte vor Wut. Seit Jahren war er es gewohnt hin und wieder die schlimmsten Schimpfwörter an den Kopf geknallt zu bekommen, aber bisher hatte es noch nie jemand gewagt ihn als krank und ansteckend zu bezeichnen.
»Verzeihen Sie mir die Frage, Mrs. Connelly«, sagte Liam und nun klang seine Stimme kalt und berechnend. »Wie kommen Sie überhaupt auf die Idee, ich sei krank?«
»Junger Mann, liegt das nicht auf der Hand?« Sie fixierte ihn mit zusammengekniffen Augen und wirkte, als hätte sie mit dieser Frage ganz und gar nicht gerechnet.
»Wenn Sie das so sagen … eigentlich nicht.«
Mrs. Connelly räusperte sich und reckte ihr Kinn. »Wenn Gott es gewollt hätte, dass Mann und Mann ein Bett teilen, dann hätte er nicht Eva erschaffen. Wie soll das funktionieren, wenn zwei Männer Beischlaf halten? Das ist ein widerlicher Gedanke.« Sie schüttelte sich. »Sie … Sie stecken Ihren … Ihren … na, Sie wissen schon …«
»Meinen Penis«, half Liam ihr aus und knirschte mit den Zähnen.
»Ja, Sie stecken ihn bei einem anderen Mann hinten rein. Das ist wider die Natur. Das hat Gott nie gewollt. Wenn das jeder Mann machen würde, gäbe es keine Kinder mehr. Verstehen Sie nicht, das ist unnatürlich und krank.«
»Oh, ich schätze, Sie verstehen es nicht.« Inzwischen kämpfte Liam gegen seine Wut an, die ihn mit jedem weiteren Wort aus dem Mund dieser ungehobelten Frau wie ein Messerstich ins Herz traf. »Nennen Sie mir doch bitte eine einzige Bibelstelle, wo das nachzulesen ist. Vor Gott sind alle Menschen gleich, auch wenn ich nicht unbedingt zu der gläubigen Sorte gehöre. Und wer sagt hier, dass jeder Mann schwul ist? Es gibt genauso viele schwule Männer wie eh und je, nur jetzt trauen sie sich auf die Straße. Sie trauen sich ihre Gefühle frei und ohne Zwang auszuleben, ohne Verfolgung, ohne Hass. Aber Sie sind ein Relikt aus dem Mittelalter, und selbst dort war es nicht verpönt.«
Liams Zorn nahm überhand und er sprang auf. Er warf die Serviette auf den Tisch und ballte nun beide Hände zu Fäusten. Am Rand bekam er mit, dass David ihn am Handgelenk festhielt und versuchte, beruhigend auf ihn einzureden. Doch er wollte sich nicht beruhigen. Er wollte dieser alten, verklemmten Schnepfe ein für alle Mal klarmachen, dass sich die Zeiten geändert hatten, und dass sie es war, die dringend eine Therapie bei einem Psychologen benötigte.
»Wissen Sie … Sie haben nur Angst und sind blind für die Zukunft. Inzwischen ist die Ehe zwischen zwei Männern ganz legal in unserem Land erlaubt. Sogar anerkannt. Und damit Sie es wissen. Ich bin stolz darauf, schwul zu sein. Ich liebe Männer und ich stehe darauf, wenn mein Partner mich mit der Zunge leckt und er mich mit seinen wilden Stößen zum Höhepunkt treibt. Daran ist nichts Verwerfliches. Das ist genauso normal, als wenn ein Mann und eine Frau miteinander Sex haben. Wie sonst wäre denn ihre eigene Tochter auf die Welt gekommen, wenn Sie nicht …«
»Es reicht!«, kreischte Mrs. Connelly und erhob sich ebenfalls von ihrem Stuhl. Sie bebte am ganzen Körper und ihr Kopf glich einer reifen Tomate. »Sie sind ein ungehobelter, kranker Mann. Ich möchte nicht, dass Sie länger an diesem Tisch sitzen.«
»Mum!«, rief Sarah und sprang auf.
»Francis … was tust du da?«, fragte ihr Ehemann ziemlich perplex und sah aus, als würde er sich für seine Frau schämen.
David und Ally saßen da und starrten sprachlos die anderen an.
Liam zitterte und wusste nicht, wie lange er sich noch im Griff hatte. Schließlich drehte er sich um, lief mit großen Schritten ins Wohnzimmer und steuerte die Terrasse an. Während er davonstürmte, hörte er plötzlich Davids energische Stimme, die sich an Mrs. Connelly wandte. Für einen Moment blieb er stehen und lauschte.
»Verdammte Scheiße! Was sollte das eben?«, schrie er außer sich. »Liam ist mein bester Freund und ich lasse es nicht zu, dass irgendwer etwas Böses über ihn sagt oder irgendwer ihn beleidigt. Er bedeutet mir sehr viel. Und nur damit du es weißt … mein Wunsch ist es immer noch, dass er mir als Trauzeuge zur Seite steht.«
Davids Worte waren wie Balsam für seine Seele. Sie legten sich über die offenen Wunden der Messerstiche, die ihm Sarahs Mutter zugefügt hatte, aber er konnte sich ihnen noch nicht stellen. In diesem Moment wollte er einfach allein sein. Allein mit sich und seinen Gefühlen. Also rannte er los. Über die Terrasse erreichte er den großen Garten und stürmte blindlings in die anbrechende Dunkelheit hinaus. Irgendwann bemerkte er, dass er sich hinter dem Pavillon ins Gras gesetzt hatte und ihm Tränen über die Wange rannen.
»Liam?«, hörte er Sarahs Stimme, die sich näherte. »Liam, es tut mir so schrecklich leid.«
Langsam hob er den Blick und sah, wie sie vor ihm in die Knie ging.
»Meine Mutter ist … ich weiß nicht, was ich sagen soll … aber du darfst …«
Liam hob den Finger und legte ihn ihr sanft auf den Mund. »Bitte sag nichts«, flüsterte er und schluchzte auf. »Du hast keine Schuld … das weiß ich doch.«
Plötzlich zog Sarah ihn in eine Umarmung und fing leise an zu weinen. Liam fuhr ihr tröstend mit der Hand über ihren Rücken und fühlte sich mies. »Ich wollte deine Mutter nicht beleidigen«, murmelte er. »Das ist einfach eskaliert.«
»Rede dir bloß nicht so einen Mist ein«, hörte er eine männliche Stimme und wusste, sie gehörte David.
Sarah ließ Liam los und stand auf.
»Sorry, aber ich habe eben deine Eltern ins Hotel geschickt. Ich übernehme die Rechnung. Aber wer an meinem Tisch jemanden so mies behandelt, der muss sich erst wieder das Recht verdienen, sich noch mal daran setzen zu dürfen.«
»Das hast du wirklich?« Sarah wirkte überrascht, aber gleichzeitig zeichnete sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht ab.
»Meinst du, ich will diesen homophoben Drachen länger im Haus behalten als unbedingt nötig?« David grinste. »Für deinen Dad tut es mir zwar leid, aber er hat sofort eingewilligt. Jetzt fährt Tom sie in die Stadt und holt sie auch morgen früh wieder ab. Aber nicht zu früh.«
Sarah fing an zu lachen und küsste David auf die Wange. »Ich dachte schon, ich müsste sie rauswerfen.«
David reckte stolz das Kinn und schlug sich mit der Hand selbst auf die Schulter.
»Und wo ist Ally?«
»Die sitzt etwas bedröppelt am Tisch. Ich glaube, du musst sie ein bisschen aufheitern. Sie sieht nämlich gerade all ihre tollen Vorbereitungen den Bach runtergehen.«
»Oh Gott … Ally!« Sarah ließ ihren Verlobten stehen und rannte los. Doch plötzlich hielt sie inne und drehte sich um.
»Keine Sorge. Mach du nur. Das Essen ist eh gelaufen. Ich werde mit Liam ein wenig spazieren gehen, wenn er denn will.«
Daraufhin verschwand sie und David seufzte erleichtert. Liam beobachtete ihn dabei aufmerksam, als er sich neben ihm ins Gras setzte und die Beine anzog.
»Wenn ich gewusst hätte, dass sie so …«
»Also wenn du dich entschuldigen willst … dann lass es«, unterbrach Liam ihn und atmete einmal tief durch. »Es ist nicht eure Schuld.«
»Und warum fühle ich mich dann so?«
»Ich weiß nicht … aber vielleicht ist es besser, wenn wir die Sache einfach vergessen?«, schlug Liam vor.
»Einfach so unter den Tisch kehren ist zwar nicht meine Art … doch wahrscheinlich hast du recht. Ich habe Sarahs Mum noch nie so erlebt.«
»Was habe ich gerade gesagt?«, flüsterte Liam und legte David sachte seine Finger auf die Lippen.
Im selben Moment durchfuhr ihn wieder dieses angenehme Prickeln und sein Herz schlug schneller. Für einen winzigen Augenblick glaubte er, einen Fehler begangen zu haben, doch David umfasste sein Handgelenk, hielt es fest und hauchte ihm einen sanften Kuss auf die Fingerspitzen. Und obwohl es mittlerweile dunkel geworden war, spendeten die brennenden Lampions des Pavillons genügend Licht, um sich tief in die Augen zu sehen. Dunkelbraun traf auf Hellgrün.
David beugte sich langsam zu ihm hinüber und schloss die Lider. Liam tat es ihm gleich und schon berührten sich ihre Lippen. Zuerst zart und zurückhaltend, doch David forderte mehr. Mit seiner Zungenspitze drängte er sich in Liams Mund und dieser hieß ihn willkommen. Spielerisch streichelten sich ihre Zungen, sie saugten an den Lippen des anderen und verloren sich in einem feurigen Kuss, in dem so viel Leidenschaft steckte, dass es schon fast wieder schmerzte. Liam schlang seine Arme um David und zog ihn an sich. Seine Hände krallten sich in Davids Nacken, fuhren ihm durch seine Haare. Dieser Kuss gehörte ihnen, ihnen ganz allein.
Nach unendlich wunderschönen Minuten gab David Liams Mund frei und lehnte seine Stirn gegen die Liams. Ihre Nasenspitzen kitzelten sich gegenseitig, während sie sich erneut fest in die Augen blickten. Dabei nahm er Liams Hände in seine und streichelte mit dem Daumen sachte über die Handrücken.
»Ich will dich … hier und jetzt«, flüsterte David und küsste Liams Mund.
»Du … du meinst … es ernst«, stammelte Liam, der vor Freude kaum ein Wort herausbrachte.
»Ich habe zehn Jahre darauf gewartet. Du bist alles, was ich schon immer wollte.«
»Aber … aber … Sarah …«
»Vergiss sie … bitte … ich will dich … dich ganz allein.«
»Aber …«
David verschloss ihre Münder zu einem weiteren Kuss, diesmal verlangender, qualvoller und so voller Leben. Liam glaubte, sein Herz würde zerspringen, so intensiv und hungrig nahm David ihn für sich ein.
Liams Widerstand schmolz wie Butter in der Sonne. Erneut gab er sich dem Zungenspiel hin und wollte nichts weiter als David berühren, ihn spüren und mit ihm eins sein.
»Komm … komm mit«, forderte David ihn schließlich auf, erhob sich und reichte Liam eine helfende Hand, die er lächelnd annahm. David schaute kurz über die Schulter zum Haus und dann wieder zurück. Dann nahm er Liam bei der Hand. »Die beiden sind mit anderen Dingen beschäftigt. Lass uns gehen.«
Liam nickte und ließ sich widerstandslos führen. Im Dunkel konnte er nicht viel erkennen, nur dass sie sich immer weiter vom Haus entfernten. Wenige Minuten später gelangten sie zu einer kleinen Lichtung, umgeben von Hecken und einigen Bäumen. Dort in der Mitte war es ganz weich.
»Hier komme ich immer her, wenn ich allein sein will«, sagte David. »Deswegen habe ich auch Moos anpflanzen lassen. Wenn es tagsüber heiß ist, kann ich hier im Schatten liegen und alles tun, was ich möchte. Kein Mensch kann uns sehen oder hören.«
»Du bist verrückt.« Liam lachte und begann diesen geheimen Ort zu mögen.
»War ich das nicht schon immer?«, säuselte David und zog ihn fest an sich.
»Oh ja … das warst du«, nuschelte Liam in den Kuss hinein, in den David ihn verwickelte. Ein heißkalter Schauer erfasste seinen Körper. Von diesem Moment an gab es für ihn nur noch einen Menschen auf der Welt, und das war David.
»Ich muss dir ein Geheimnis anvertrauen«, hauchte David ihm ins Ohr und knabberte daran.
»Welches denn?«, stöhnte Liam.
»Ich bin bi.«
»Meinst du, das wüsste ich nicht schon längst«, antwortete Liam und verstrickte ihn darauf sofort in ein weiteres lüsternes Zungenspiel.
»Ich will dir nur damit sagen, dass du nicht mein erster …«
»Willst du quatschen oder ficken?«
Die Antwort erfolgte, indem David ihm das Hemd fast vom Körper riss und achtlos auf den Boden warf. Sein eigenes folgte sofort und beide landeten feixend auf dem weichen Moosteppich. David saugte an Liams Hals und küsste sich, eine heiße Spur hinterlassend, nach unten zu seinen Brustwarzen. Mit der Zunge leckte er über sie und biss hinein, womit er Liam weiteres Stöhnen entlockte. Schließlich wanderten seine Hände nach unten und öffneten die Jeans. Mit einem Ruck zog er sie samt der Boxershorts aus und entledigte sich seiner eigenen restlichen Kleidung.
Nackt lag David auf dem Moos und Liam verschloss ihre Lippen mit einem leidenschaftlichen Kuss. Doch seine Hände blieben dabei nicht untätig. Eine Hand griff nach Davids erigiertem Penis und die andere nach seinem eigenen. Er begann beide zu streicheln und zu pumpen, bis er sich über die Brust und den Bauch nach unten küsste und Davids Härte in den Mund nahm. Liam hörte ein wohliges Knurren und seine Zunge spielte mit der Eichel. Er neckte sie immer wieder, dann begann er zu lutschen.
David stöhnte und wurde immer härter. Schließlich gab Liam ihn frei, nur um sich von David verwöhnen zu lassen. Seine Zunge machte ihn schier wahnsinnig. Seufzend stieß er in Davids Mund und konnte nicht genug bekommen. Dann nahm er Liams Beine und streckte sie nach oben. Davids Kopf senkte sich und leckte über seinen Eingang. Jeder Zungenschlag war wie pures Aphrodisiakum. Mit lautem Stöhnen schloss er die Augen und genoss es in vollen Zügen. David ging dabei sanft und trotzdem animalisch vor. Er leckte und spuckte und nahm sogar seine Finger, die ihn langsam dehnten.
»Nimm mich … jetzt«, presste Liam hervor und biss sich auf die Unterlippe.
Er konnte zwar Davids Grinsen nicht sehen, aber er wusste, es war da. Liam sah in der Dunkelheit, wie sein Liebhaber nach seiner Hose griff, etwas aus der Hosentasche holte und aufriss. Kurz darauf spürte Liam den harten Penis an seinem Eingang. Zuerst drang er langsam in ihn ein, um sich dann wieder zurückzuziehen. Daraufhin tat er es erneut und stieß wiederholt zu, bis er in einen gleichbleibenden Rhythmus verfiel.
Liam glaubte sich in einem Traum, doch es war der schönste und intensivste Traum, den er bisher erlebt hatte und er hielt noch lange an.

* * *

Liam vernahm ein leises Rascheln und öffnete schlaftrunken die Augen. Es dauerte einige Augenblicke, bis er sich an die Helligkeit gewöhnt hatte, die sich mittlerweile über die kleine Lichtung gelegt hatte. Die Sonne war bereits aufgegangen, aber es schien noch ziemlich früh am Morgen zu sein, denn es war frisch. Mit einer leichten Gänsehaut wollte er sich an Davids Körper wärmen, doch als er sich zu ihm umdrehte, war der Platz leer. Erschrocken richtete er sich auf und sah seinen Freund, der neben ihm stand und sich das Hemd zuknöpfte.
»Was machst du da?«, erkundigte er sich und streckte sich.
»Nach was sieht es denn aus?«, gab David zurück. »Du solltest dich auch langsam anziehen. Es ist schon kurz vor halb neun. Um elf treffen die ersten Gäste ein. Und wie ich meine Eltern kenne, kommen sie mindestens eine Stunde früher.«
Es waren nicht die Worte, die Liam einen Stich ins Herz versetzten, sondern der emotionslose Ton, mit dem David gesprochen hatte. Sachlich und knapp.
»Was schaust du mich so an?«, fragte David und steckte sein Hemd in die Jeans.
Liam schluckte merklich, stand auf, klaubte seine Boxershorts vom Boden auf und zog sie an.
»Los, sag schon. Was hast du? Wir müssen uns beeilen.«
In diesem Moment kochten Liams Gefühle hoch. Die Freude wurde durch die wachsende Enttäuschung verdrängt und machte Platz für seine Wut. Er wirbelte zu David herum und sah ihn mit funkelnden Augen an.
»Du willst wissen, was los ist?«, sagte er lauter als beabsichtigt. »Ich kann es dir sagen. Du bist es! Du behandelst mich gerade wie einen Trostfick.«
»Was?« David kam auf ihn zu und wollte ihn in eine Umarmung ziehen, doch Liam machte einen Schritt zurück. »Was ist denn in dich gefahren?«
»Bist du taub? Du! Du! Und noch mal Du!«
»Moment mal …«, erklang Davids Stimme und in ihr schwang eine Spur Ärger mit. »Hast du geglaubt, dass wir zwei jetzt nach dieser Nacht zusammen sind?«
Beinahe hätte Liam mit einem Ja geantwortet, aber er verschluckte das Wort sofort, bevor es seine Lippen verlassen konnte. Stattdessen spürte er die ersten Tränen in den Augen brennen, die er störrisch wegblinzelte.
»Oh Scheiße«, kommentierte David seine Frage selbst und schüttelte den Kopf. »Verstehst du das nicht, wir beide können nie zusammen sein?«
»Warum? Nenn mir einen triftigen Grund, warum wir das nicht sein können? Und schiebe nicht Sarah vor.«
Liam beobachtete David ganz genau, der seine Hände zu Fäusten ballte. Dann schloss er die Augen und als er sie wieder öffnete, war sein Blick aus den dunkelbraunen Augen kälter als Eis. Das traf Liam wie eine scharfe Schwertspitze mitten in die Brust. Überrumpelt und von Trauer erfüllt taumelte er einen Schritt zur Seite und bekam den Stamm eines Baumes zu fassen.
»Sarah ist einer der Gründe … aber nicht der Hauptgrund«, begann David. »Du weißt, wie sehr ich für das Fahren lebe. Die Rennen sind mein Leben, meine Leidenschaft. Ich kann mir mein Leben gar nicht ohne das Rennfahren vorstellen. Das war schon immer so. Du hast mich damals ja sogar noch ermutigt, dass ich meinem Herzen folgen soll. Tja … und das habe ich getan. Aber hast du jemals von einem schwulen Rennfahrer gehört oder gelesen? Ich nicht. Wenn jemals herauskommen würde, dass ich Männer liebe …«
»Das ist der Grund?«, unterbrach Liam ihn und schrie die Worte voller Hass heraus. »Das ist wirklich der Grund, warum du mit meinen Gefühlen spielst? Du bist erbärmlich! Denn du spielst auch mit Sarahs Gefühlen, falls es dir nicht bewusst sein sollte. Ach ja … Mr. Price … ich bin nicht blöd. Ich war heute Nacht nicht dein erster Mann. Dann sag mir bitte … warum machst du dir etwas vor?«
Anstatt zu antworten, drehte sich David um und lief einfach davon.
Liams Körper wurde plötzlich ganz taub. Er rutschte am Stamm hinab und landete auf dem Moosteppich. Wie in Trance spürte er sein Herz bluten, seine Hände zitterten und ein tonloser Schrei entwich seiner Kehle. Schluchzend legte er sich hin, zog die Beine an und ließ seiner unbändigen Verzweiflung freien Lauf.

* * *

Nervös tigerte David im Wohnzimmer auf und ab. Ein flüchtiger Blick auf die Wanduhr zeigte ihm, dass er und Sarah sich in einer halben Stunde tatsächlich vermählen würden. Doch er fühlte sich alles andere als wohl in seiner Haut. Zu viel war in zu kurzer Zeit auf ihn eingestürzt, hatte seine Gefühle Achterbahn fahren lassen und jetzt fühlte er sich mieser als jemals zuvor. Nicht nur, dass er Liam vor den Kopf gestoßen hatte, er hatte das schlimmste Verbrechen begangen, welches er sich vorstellen konnte. Er war auf Liams Gefühlen herumgetrampelt und hatte ihm gleichzeitig das Messer ins Herz gestoßen.
Ich hatte doch keine andere Wahl, sagte er sich immer wieder im Stillen.
Fast kam es ihm vor, als würde sein Gewissen ihm stets antworten. »Jeder hat eine Wahl und du hast die falsche getroffen.«
Seufzend beobachtete er die inzwischen eingetroffenen Gäste, die sich draußen im Garten versammelt hatten. Ally hatte eine tolle Hochzeitskulisse erschaffen. Gleich neben dem Swimmingpool standen zehn Stuhlreihen, in deren Mitte ein roter Teppich ausgelegt war und zum Podium führte, wo Sarah und er sich das Jawort geben sollten. Die Stühle waren mit weißem Stoff überzogen, und überall standen Vasen mit weißen Lilien und roten Rosen. Sogar das angrenzende Zelt, in dem sie später feiern wollten, war umgeben von einem Blumenmeer und kaum noch zu erkennen.
Die Standesbeamtin wartete bereits und unterhielt sich angeregt mit Davids Eltern. Sarahs Eltern standen ein wenig abseits, was ihm nur recht war. Plötzlich klingelte es an der Tür und bevor irgendwer ihm zuvorkam, stürmte er los, öffnete sie und begrüßte seinen Cousin Adam. Auf ihn hatte er sehnsüchtig gewartet.
»Du hast dich aber in Schale geworfen«, sagte Adam und grinste breit von einem Ohr zum anderen.
»Das Gleiche könnte ich jetzt von dir sagen.«
Gemeinsam liefen sie ins Wohnzimmer, wo sie auf der weißen Ledercouch Platz nahmen.
»Ist Sarah schon so weit?«, erkundigte sich Adam und fuhr mit den Händen durch seine verwuschelte schwarze Haarmähne.
David sah ihn an und wie schon so oft bemerkte er den Glanz in den Augen seines Cousins, sobald die Sprache auf Sarah kam. Das war schon immer so, seit dem Tag, als sie sich vor fünf Jahren kennengelernt hatten. David war deswegen nicht eifersüchtig, im Gegenteil. Er war es gewesen, der ihre Treffen von Anfang an arrangierte. Dass Adam ihr dann auf einer besonderen Art näher war als er, das störte ihn nicht. In der Öffentlichkeit waren David und Sarah das Vorzeigepaar, doch in Wirklichkeit waren Adam und Sarah ineinander verliebt, während David heimlichen Männerbesuch in der Wohnung empfing. So lautete ihre Abmachung. Alle drei hielten sich daran, vor allem, weil Adam und David sich schon von klein auf immer gegenseitig unterstützt hatten.
»Ähm … ich denke. Ally und eine ihrer Cousinen sind oben. Sie bestehen darauf, dass ich sie erst am Altar sehen darf.«
»Ja … ja … diese Hochzeitssitten«, kommentierte Adam. »Aber du siehst nicht gerade aus, als wärst du der stolze Bräutigam.«
»Ich fürchte, ich habe einen ganz großen Fehler gemacht«, sagte David leise und seufzte. »Oder ich bin gerade dabei einen zu tun. Ich weiß es nicht.«
»Lass mich raten … der Plan hat funktioniert und du hast ihn wiedergesehen?«
David nickte und schämte sich plötzlich so sehr, dass er am liebsten im Boden versunken wäre.
»Jetzt sag mir bloß nicht, ihr zwei habt miteinander …«
»Doch. Wir haben«, unterbrach ihn David und stand auf. Erneut tigerte er durchs Wohnzimmer und wünschte sich an einen Ort, wo niemand ihn kannte.
»Und jetzt?«
»Und jetzt bin ich geliefert. Liam ist sogar abgehauen. Seine Sachen sind noch im Zimmer, aber er ist spurlos verschwunden. Das alles ist meine Schuld. Ich habe nicht nur den Menschen verletzt, den ich seit über zehn Jahren liebe … jetzt verletzte ich auch noch meine beste Freundin, in dem ich ihr gegenüber ein Gelübde ablege, dass ich nicht halten kann.« David stampfte mit dem Fuß auf und ballte die Hände.
Adam erhob sich und kam zu ihm hinüber. Er legte ihm beide Hände auf die Schultern und zwang ihn, ihm in die Augen zu schauen.
»Genau das meine ich. Sarah und du, ihr beide wusstet von Anfang an, wie ihr zueinandersteht. Vergiss nicht, du warst derjenige, der ihr den Heiratsantrag gemacht hat, nur weil du denkst, die Presse würde dich dazu nötigen, weil sie ständig fragt, warum ihr beide nicht schon längst verheiratet seid. Und dabei geht es nicht um meine Gefühle zu Sarah. Ich stehe hinter euch, auch wenn ihr diese Show durchzieht. Doch du hättest es wirklich viel einfacher haben können. Ihr zwei hättet euch getrennt und ich bin immer noch derselben Meinung, nach ein paar Wochen wäre alles längst vergessen gewesen. Aber nein … ihr habt euch zusammen entschieden allen eine heile Welt vorzugaukeln, die nun mal keine ist. Und weil Sarah dich aufrichtig liebt … immerhin bist du ihr bester Freund … gab sie dir noch diese Chance mit Liam. Sorry, aber du hast es mächtig vergeigt. Du bist wirklich dümmer, als ich dachte.«
»Meinst du, das weiß ich nicht selbst«, keifte David, schlug die Hände von seinen Schultern und machte zwei Schritte zurück. »Du weißt gar nicht, was alles vorgefallen ist.«
»Dann erzähl’s mir.«
Das tat David auch. Er berichtete von Francis Connellys Ausraster, von seiner Freude, endlich den Mann an seiner Seite zu wissen, für den, seit so vielen Jahren sein Herz schlug. Und er erzählte von der unvergleichlichen und leidenschaftlichen Nacht mit Liam. Als er endete, spürte er die ersten Tränen in den Augen.
»Du steckst ganz tief in der Scheiße und es tut mir leid, aber ich kann dir dabei nicht helfen«, sprach Adam nach kurzem Schweigen. »Ich habe dich immer gedeckt, von Anfang an. Du musst mit ihr reden und auch mit Liam. Beide haben endlich Klartext verdient. Und wenn du so weiter machst, dann schnappe ich mir Sarah noch vor dir und heirate sie auf der Stelle. Ich liebe sie und ich möchte nicht, dass du ihr länger unnötig wehtust. Nun bist du am Zug. Du musst eine Entscheidung fällen. Also denk darüber nach.«
Nach diesen ernsten Worten verließ Adam das Wohnzimmer. David blieb allein zurück und gab sich seiner wachsenden Verzweiflung hin. Er wusste, wonach sein Herz so sehnsüchtig verlangte, doch sein Verstand verlangte vernünftig zu sein. Mit seinem Coming-out würde er seine Karriere aufs Spiel setzen und das Rennen war sein Leben. Egal wie er die Sache auch drehte und wendete, am Ende siegte stets die Vernunft. Sarah und Liam hatten beide jemanden verdient, der zu seinen Gefühlen stand und sich nicht in der Öffentlichkeit hinter fadenscheinigen Ausreden versteckte.
»Kommst du, Cousin?«, rief es plötzlich und als David sich umdrehte, stand Adam hinter ihm. »Es ist Zeit. Und ich hoffe für Sarah und dich, du hast die richtige Entscheidung getroffen.«
David seufzte, schloss die Augen und als er sie wieder öffnete, nickte er. »Bitte sag jetzt nichts mehr«, forderte er seinen Cousin auf, lief an ihm vorbei und hinaus auf die Terrasse.
Die versammelten Hochzeitsgäste saßen bereits auf ihren Plätzen. Er ging den roten Teppich entlang und wurde von der Standesbeamtin begrüßt. Sie fragte ihn, ob denn alles bereit wäre und er nickte erneut.
Adam gesellte sich zu ihm, denn er hatte die Ringe einstecken. Somit fungierte er auch als sein Trauzeuge. Auf der Seite der Braut stand Sarahs beste Freundin und Cousine Lilly. Sie schien aufgeregter zu sein als der Rest der Gäste. Sogar aufgeregter als David selbst. Sein Blick schweifte über die Köpfe der Anwesenden hinweg und er hielt Ausschau nach Liam. Doch er konnte ihn nirgendwo entdecken, was seinem Herz einen Stich versetzte. Nach dem, was er ihm an den Kopf geworfen hatte, konnte er nicht erwarten, dass er ihn noch einmal sehen würde. Schließlich schenkte er seiner Mutter und seinem Vater ein Lächeln und dann setzte auch schon der Hochzeitsmarsch ein.
Sarah kam auf ihn zu und sah noch nie schöner aus als in diesem Moment. Sie trug ein enges weißes und ärmelloses Kleid, das ihr bis an die Knöchel reichte und seitlich am Bein einen Schlitz besaß. Der Schleier verdeckte ihr Gesicht, doch er sah sie lächeln. Sie war einfach atemberaubend. Ihr Vater führte sie über den roten Teppich und überreichte die Hand seiner Tochter am Ende traditionell an David.
David atmete einmal tief durch und hob dann ihren Schleier hoch. Ihr erster Blick fiel auf Adam. Er wusste, dass beide sich liebten und doch stand er jetzt an ihrer Seite. Aber so lautete ihre Abmachung und daran hielt er sich jetzt.
Wie in Trance stand er Hand in Hand mit Sarah vor der Standesbeamtin und hörte ihr kaum zu. In Gedanken war er bei Liam. Inzwischen hatte er Angst, er könnte sich etwas antun, oder er hatte es sogar schon getan. Doch ein immer stärker werdendes Gefühl sagte ihm, dass es Liam gut ging. Das beruhigte ihn ein wenig, trotzdem war er nicht hier und das schmerzte ihn von Minute zu Minute mehr. Seine Gedanken schweiften ab zu ihrer ersten gemeinsamen Nacht und zu diesen überwältigenden Empfindungen, die Liam bei der noch so kleinsten Berührung in ihm hervorgerufen hatte. David sehnte sich in Liams tröstende Arme zurück, die ihm so viel gegeben hatten, dass er sich zum ersten Mal seit zehn langen Jahren endlich glücklich und wirklich geliebt gefühlt hatte.
Plötzlich sah er in zwei wunderschöne glänzende grüne Augen. Sie kamen langsam näher und zogen ihn förmlich in ihren magischen Bann. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Aber erst als Adam ihn an der Schulter anstupste, wurde ihm bewusst, dass er nicht träumte. Es war wahrhaftig Liam, der über das Gras zum Podium lief und kurz davor stehen blieb.
Die Standesbeamtin unterbrach sich und hinter Sarah und ihm wurde Gemurmel laut, aber davon ließ er sich nicht beirren. Liam war zurückgekehrt und nur das zählte. Inzwischen schlug sein Herz in einem wilden Rhythmus, seine Kehle war trocken und ein heißkaltes Kribbeln erfasste seinen Körper. Schmetterlinge wuselten in seinem Bauch umher. Seine Entscheidung war gefallen, er würde Liam nie wieder gehen lassen.
David wandte sich an Sarah, die ihn lächelnd ansah und nickte. Mehr wollte er nicht von ihr. Doch bevor er ging, hauchte er ihr einen sanften Kuss auf die Wange und flüsterte ihr ein »Danke« ins Ohr.
Dann hielt ihn nichts mehr auf. Unter entsetzten Rufen und lautem Stimmengewirr stieg er vom Podium und schritt langsam auf Liam zu. Schließlich standen sich beide gegenüber. Dunkelbraun traf auf Hellgrün und ihrer beider Augen leuchteten.
Ohne ein Wort schlang David die Arme um Liam und zog ihn an sich. Ihre Gesichter kamen sich näher und näher und ihre Lippen fanden zu einem leidenschaftlichen Kuss zusammen. Davids Hände fuhren dabei durch Liams verstrubbelte Haare und er konnte gar nicht genug von der Süße bekommen, nach der sein Freund schmeckte. Lange Minuten versanken sie in ein feuriges und berauschtes Zungenspiel und lösten sich überglücklich und lächelnd voneinander.
»Ich war so ein Arschloch«, flüsterte David, nahm Liams Hand und ihre Finger umschlungen sich gegenseitig. »Verzeihst du mir? Denn wenn mir eines klar geworden ist, dann, dass ich dich liebe. Mein Herz platzt fast vor Liebe, wenn ich nur an dich denke.«
Liam seufzte erleichtert und küsste David noch einmal voller Leidenschaft. Als er von ihm abließ, grinste er. »Du warst wirklich ein Arschloch. Und bis eben hatte ich geglaubt, dass ich mich nicht zwischen dich und Sarah drängen will. Aber jetzt … nach diesem Kuss … nachdem du zu mir gekommen bist, weiß ich, dass du mir eine Chance gibst.«
»Von mir aus gebe ich dir tausend Chancen, wenn du mir nur diese eine gibst«, antwortete David und küsste Liam auf die Nase, dann auf die Stirn, auf die Wangen und zum Schluss auf den Mund.
»Ich … ich liebe dich«, raunte Liam. »Du bist der erste Mann, in den ich mich verliebt habe und den ich nie vergessen konnte. Ich will ohne dich nicht mehr sein.«
»Das musst du auch nicht … nie wieder. Ich will dich umarmen, dich lieben, dir mein Herz öffnen. Ich tu alles, damit ich dich glücklich sehen kann.«
Bevor Liam antworten konnte, erklang ein Räuspern. Beide blickten zur Seite und sahen Sarah und Adam dort stehen.
»Endlich hast du es kapiert … du Sturkopf«, sagte sie lächelnd und umarmte David fest, um dann auch Liam in die Umarmung mit einzubeziehen. Zu dritt lagen sie sich in den Armen und es waren keine Worte nötig, um auszudrücken, wie dieser Tag für sie enden würde.
Als sie sich voneinander lösten, nahm sie Davids und Liams Hand und legte sie symbolisch aufeinander.
»Ihr zwei gehört einfach zusammen. Das wusste ich schon immer. Und jetzt hat die Wahrheit auch eure Herzen vereint. Mein Wunsch ist es, dass ihr zwei glücklich seid.«
»Danke … danke für alles«, sagte David und kam auf Sarah und Adam zu. Er blickte beiden in die Augen und lächelte. Schließlich nahm er ihre Hände und legte sie ebenfalls sinnbildlich aufeinander. »Adam hat mir erzählt, dass du schon länger den Verdacht mit der Wohnung gehegt hast. Das tut mir wirklich leid. Aus diesem Grund wünsche ich mir, dass ihr zwei endlich das Paar werdet, das ihr schon so lange seid. Ihr zwei seid füreinander geschaffen.«
Fast im gleichen Moment zog Adam Sarah an sich und verschloss ihre Lippen zu einem langen und begierigen Kuss.
David nahm sich ein Beispiel und verstrickte Liam in ein Zungenspiel, in dem all seine Liebe für ihn verborgen war und den Liam nur zu gerne mit derselben Intensität erwiderte.
»Tja, das wird dann wohl nichts mit einer Hochzeit«, meinte Sarah kichernd und beobachtete kurz darauf gemeinsam mit Adam, David und Liam, wie ihre und Davids Eltern zu ihnen eilten. Alle wirkten mehr als verwirrt, wobei Francis Connelly die Einzige war, die ihre Nase gerümpft hatte.
»Das würde ich so nicht sagen«, bedeutete David. »Es ist doch schon alles vorbereitet, nur der Bräutigam wird ausgetauscht.«
»Was?« Adam starrte ihn überrascht an, während Sarah sofort verstand und grinste.
»Ihr zwei seid jetzt schon so lange ein Paar, da könnte man durchaus über eine Heirat nachdenken. Und wenn der Cousin alles bezahlt, was soll da noch schiefgehen?« David zwinkerte und lächelte Adam schief an.
»Du meinst, wir … heute …«
Sarah fiel Adam um den Hals und sagte laut, sodass jeder es mitbekam. »Ja … ja, ich will.«
Anschließend lachten alle vier und David zog Liam abermals in eine feste Umarmung und küsste ihn liebevoll, während um sie herum das Chaos ausbrach.

* * *

Liam hielt freudestrahlend Davids Hand und sah ihm dabei tief in die Augen. Sie leuchteten ebenso vor Freude, denn nun wagten sie tatsächlich den wichtigsten Schritt in ihrer bisher vierzehnmonatigen Beziehung.
Beide trugen sie schwarze Jeans. Liam dazu ein weißes Hemd und David ein schwarzes. Jeweils an der linken Brust steckte eine rote Rose. Sie standen sich gegenüber und ihre Finger waren miteinander verschlungen.
»Wie habe ich mich nach dir gesehnt, habe geträumt, einen Augenblick dir nahe zu sein«, sprach Liam und konnte kaum aufhören zu lächeln. »Der Moment hat mich schon glücklich gemacht, doch er ist mir nicht mehr genug – selbst eine Stunde, ein Tag, sogar die Ewigkeit ist nicht mehr genug. Nur mit dir bin ich eins. Ein Leben lang muss es sein. Darum sage ich ja. Ja, ich nehme dich aus Gottes Hand. Ich will dich lieben, dich achten und dir treu sein, solange ich lebe. Für immer, bis zum Tode.«
Jetzt war David an der Reihe, der sich kaum zurückhalten konnte, denn er wollte am liebsten Liam fest in den Arm nehmen. Er räusperte sich.
»Ich fühlte mich hingezogen zu dir, wollte dir nahe sein. Nun bist du ein Teil von mir. Ich bin ein Teil von dir. So nahe sind wir uns nun. Nur mit dir bin ich eins.
Mein Leben ist neu durch dich. Darum sage ich ja. Ja, ich nehme dich aus Gottes Hand. Ich will dich lieben, dich achten und dir treu sein, solange ich lebe. Für immer, bis zum Tode.«
»Nun dürfen sie die Ringe anstecken«, sagte eine weibliche Stimme und riss Liam in die Gegenwart zurück.
Er sah sich um und Sarah reichte ihm auf einem silbernen Tablett mit rotem Samtkisschen den goldenen, schlichten Ring. In der Innenseite waren ihre Namen und das heutige Datum eingraviert. Vorsichtig nahm er den Ring und schob ihn behutsam auf Davids rechten Ringfinger.
»Mit diesem symbolischen Akt nehme ich dich zu meinem Mann.«
Davids Augen füllten sich mit Tränen, doch er blinzelte sie tapfer weg und nahm nun seinerseits den goldenen Ring von Adams silbernem Tablett. Langsam schob er ihn auf Liams rechten Ringerfinger.
»Mit diesem symbolischen Akt nehme ich dich zu meinem Mann.«
Plötzlich spürte auch Liam, wie sich in den Augenwinkeln die ersten Tränen sammelten. So glücklich wie heute war er nur an dem Tag, als David ihm in aller Öffentlichkeit seine Liebe gestanden hatte.
»Mit der vom Staat Kalifornien verliehenen Kraft erkläre ich sie hiermit rechtskräftig zu Mann und Mann«, sagte die Standesbeamtin, die vor über einem Jahr Sarah und Adam vermählt hatte. »Sie dürfen sich jetzt küssen.«
Diese Aufforderung benötigen sie nicht mehr, denn sie lagen sich bereits in den Armen und waren in einem leidenschaftlichen und alles verzehrenden Kuss gefangen. Liams Herz schlug Saltos, die Schmetterlinge in seinem Bauch flatterten wild umher und er glaubte zu schweben.
Ein Räuspern sagte ihnen, dass sie nicht allein waren und nur widerwillig lösten sie sich voneinander.
»Herzlichen Glückwunsch … ihr beiden«, rief Sarah und fiel beiden gleichzeitig um den Hals. »Ihr seid mit Abstand das schönste Liebespaar, das ich kenne.«
»Auch ich gratuliere euch ganz herzlich«, sagte Adam, nachdem seine Frau ihre Freunde endlich losgelassen hatte und umarmte beide der Reihe nach. »Ich bin echt sprachlos. Ihr zwei habt es endlich geschafft.«
»Dann frag mal, wie es mir geht.« Liam grinste breit von einem Ohr zum anderen, hauchte David einen zärtlichen Kuss auf die Wange und schmiegte sich an ihn.
»Wie wäre es denn, wenn ich ein Hochzeitsbild an die Presse weiterleite«, meinte David und küsste Liams Haare.
»Ein gefundenes Fressen für deine Fans«, kommentierte Liam. »Die werden dich dann noch mehr lieben. Denk nur an dein Coming-out … so viele weibliche Fans hattest du früher wohl nie.«
»Auch wieder wahr.« David fing an zu lachen und seine Freunde fielen mit ein.
»Ein Bild gibt es trotzdem«, meinte Sarah und lief hinüber zum Kinderwagen. Die kleine Emily gluckste freudig, als Sarah sie auf den Arm nahm und mit ihr zurückkam. Sie reichte die Kleine an Liam und David weiter, die sie gemeinsam festhielten, und mit ihrem Patenkind überglücklich in die Kamera lächelten.

© Madison Clark

 

Diese Kurzgeschichte erschien in der Benefiz-Anthologie “Love is Love: Romantische Kurzgeschichten gegen Homophobie”
ca. 480 Seiten
Erhältlich als eBook und Taschenbuch

weitere Infos findet ihr unter “Meine Bücher”

 

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