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Ich bin doch kein Kind mehr…
Kapitel Eins
Etwas kitzelte mich auf der Stirn. Ich blinzelte schlaftrunken, dabei fuhr ich mir genervt mit den Fingern über die Stelle, um es loszuwerden. Dann öffnete ich die Lider einen Spaltbreit. Sofort entdeckte ich zwei leuchtend smaragdgrüne Augen, die mich neugierig musterten. Schmale Lippen schenkten mir ein Lächeln. Das verführerisch wirkende Gesicht, zu dem beides gehörte, kam mir nur allzu bekannt vor. Vor mir stand Sean Ashton.
Schlagartig war ich wach und trat erschrocken die Flucht ans Ende der Couch an. Ich presste mich mit dem Rücken fest gegen die Sofakissen. Mein Herz raste, weil er mir so nahe war.
Also war es doch kein Traum. Sean hatte mich unzweifelhaft in diesen Raum eingeschlossen und war danach verschwunden. Obwohl ich festgestellt hatte, dass mir das Badezimmerfenster als Fluchtmöglichkeit geblieben wäre, hatte meine Entscheidung längst festgestanden. Ich wollte vor ihm nicht davonlaufen. Schließlich hatte es mich einige Mühe gekostet, überhaupt in seine Nähe zu kommen. Also hatte ich geduldig gewartet und war irgendwann eingenickt.
Nun erinnerte ich mich auch wieder an den Grund, warum ich hier war. Sly, mein Ex – dieser Mistarsch – hatte draußen in der Bar ein Eifersuchtsdrama der ersten Klasse an den Tag gelegt und mir brutal zu verstehen geben, dass er mich als sein Eigentum betrachtete. Von wegen! Ich hatte den Volltrottel nur an mich herangelassen, um wenigstens eine Zeitlang ein paar miesen Typen auf der Straße aus dem Weg gehen zu können. Je länger wir zusammen waren, desto eifersüchtiger wurde er, bis gestern das Fass endgültig übergelaufen war. Kurzerhand hatte er mich aus seiner Bude rausgeworfen, sodass ich nun wieder ohne feste Bleibe dastand.
»Na? Ausgeschlafen?«, fragte mich Sean. Er erhob sich aus der Hocke und verschränkte die Arme vor der Brust. Mit seiner Größe und den breiten Schultern gab er wirklich ein bedrohliches Bild ab. Doch ich wusste – besser gesagt – ich hoffte, dass er im Grunde genommen ein herzensguter Kerl war.
»Du kannst mich hier nicht festhalten!« Ich funkelte ihn grimmig an, obwohl meine Wut auf ihn in Wirklichkeit längst verraucht war. Allein der Gedanke, dass ich im selben Zimmer saß, jagte mir einen wohligen Schauder über den Rücken. Noch vor wenigen Tage hätte ich nicht geglaubt, dass er überhaupt jemals wieder ein Wort mit mir reden würde. Seine harsche Abfuhr in der Bar hatte sich in mein Gehirn eingebrannt. Zumal ich all meinen Mut zusammengenommen hatte, um ihn überhaupt anzusprechen.
Sean legte den Kopf leicht schief und taxierte mich mit Adleraugen. »Hast du über deinen Fehler nachgedacht?«
Bei diesem atemberaubenden Blick aus den bezaubernden Augen fiel es mir schwer, mich zu konzentrieren. Wieso in drei Teufels Namen war er ein so verflucht heißer Typ? Ich schimpfte mich stumm einen Vollidioten! Sean Ashton war kein Mann, der auf junge Kerle wie mich stand. Schon gar nicht, wenn ich an den süßen Dunkelhaarigen dachte, der mich vorhin im Schwitzkasten hatte. Ich konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen, aber für mich war es offensichtlich, dass beide ein Paar waren. Mehr als einmal hatte ich sie heimlich beobachtet und stets waren sie zärtlich miteinander umgegangen.
Ich holte tief Luft und blieb vorsichtshalber auf Aufstand. So gerne ich den Aufenthalt genossen hätte, in erster Linie wollte ich hier unbeschadet raus. Ich brauchte dringend Kohle und vor allem musste ich mir ein neues Quartier suchen. Vermutlich würde es wieder irgendein feuchter Keller werden. Dieser Gedanke ließ meinen Zorn auf Sly erneut aufleben. Wegen ihm steckte ich erst in der Scheiße. Meine Glückssträhne hatte nur zwei Wochen angehalten.
»Du Hohlbirne! Hast du es noch immer nicht kapiert?«, zischte ich und stellte die Beine auf dem Boden ab. Sean sollte nicht denken, dass ich ein Feigling war. »Sly ist ein mieser Scheißkerl! Außerdem hat er angefangen. Am besten hätte ich ihm gleich noch den Schwanz abschneiden sollen. Hat er wenigstens ordentlich geblutet?«
Seans Gesichtszüge verfinsterten sich. »Auch wenn er ein Scheißkerl ist, ist das kein Freifahrtschein, um in meiner Bar einem Kunden ein Glas an den Kopf zu werfen. Es hätte böse ausgehen können und am Ende wärst du bei der Polizei gelandet. Ich finde, das ist die Sache nicht wert.«
»Besser eine Nacht bei den Bullen, als in Slys versiffter Bude!«, konterte ich grantig zurück und verschränkte nun meinerseits die Arme.
Seufzend kam Sean einen Schritt auf mich zu. Innerlich zuckte ich zusammen, reckte ihm dennoch trotzig das Kinn entgegen.
»Siehst du deinen Fehler immer noch nicht ein? Du hast Glück, dass du ihn nur gestreift hast. Ich gebe dir einen Rat. Beim nächsten Mal überleg zuerst, bevor du handelst. Falls nicht, werde ich nicht mehr so freundlich sein.«
»Freundlich? Darunter verstehe ich etwas anderes. Du hast mich hier hineingeworfen wie einen Sack Kartoffeln und bist dann einfach abgehauen!«, beschwerte ich mich und blickte ihn grimmig an.
»Das war nur zu deinem Besten. Einen Unruhestifter wie dich kann ich in meiner Bar nicht gebrauchen.«
Überrascht starrte ich ihn an. Sean gehörte zwar dieser exklusive Club und er scheffelte mit den Callboys einen Haufen Kohle, aber das gab ihm kein Recht, mich wie einen Besen in die Ecke zu stellen und sich zu verkrümeln. Er musste doch auch mich verstehen. Zugegeben, er kannte Sly nicht, was gut war. Würde er ihn kennen, hätte er mir für meinen genialen Schachzug sicherlich gratuliert. Im Bett stand das notgeile Arschloch auf die harte Tour und Schläge standen an der Tagesordnung. In den letzten zwei Wochen war kein Tag vergangen, an dem mein Körper nicht irgendwelche blauen Flecken vorzuweisen gehabt hätte. Doch für mich war das immer noch besser als, als Stricher auf der Straße zu landen. Sly hatte ich wenigstens einschätzen können.
»Also? Was ist? Hast du jetzt eingesehen, dass du ein wenig über die Stränge geschlagen hast?«, wollte Sean erneut wissen. Er sah mich dabei an, als wäre ich sein Sohn, den er gerade aus einer Sandkastenprügelei gezerrt hatte. Gab ich jetzt meinen Fehler zu, ließ er mich bestimmt gehen. Widerwillig presste ich die Lippen fest aufeinander und nickte. Trotzdem sagte mir ein mulmiges Bauchgefühl, dass er mir die Reue nicht abnahm.
»Okay. Lassen wir das vorerst. Wie alt bist du überhaupt?«, wechselte er das Thema.
»Zwanzig. Warum?«
»Beweis es mir.« Sean streckte die Hand aus und forderte mich auf, ihm meinen Ausweis zu zeigen. Sein skeptischer Blick sagte mir deutlich, dass er mir kein bisschen glaubte.
Plötzlich begann mein Puls zu rasen, doch ich schenkte ihm kampfeslustig ein breites Grinsen. Lässig zog ich meinen Führerschein aus der Gesäßtasche und warf ihn vor seine Füße, sodass er ihn aufheben musste. »Hier. Glaubst du mir jetzt?«
Sean studierte die Plastikkarte ganz genau. Dabei verdunkelte sich seine Miene ein weiteres Mal. »Willst du mich verarschen? So eine miese Fälschung habe ich ja noch nie gesehen. Da fehlt sogar das Wasserzeichen.«
»Die Security hat es nicht interessiert«, versuchte ich mich aus der Affäre zu ziehen. Verärgert stand ich auf und ballte die Hände zu Fäusten. Ich hatte immerhin vierzig Pfund dafür bezahlt.
»Zeig mir deinen Ausweis, und zwar den echten!«, verlangte Sean mit frostigem Unterton in der Stimme und kam näher auf mich zu. Uns trennte gerade noch ein Meter.
Überrumpelt fiel ich aufs Sofa zurück und sprang sofort wieder auf. »Fass mich bloß nicht an!«, giftete ich und wollte an ihm vorbei auf die Tür zustürmen.
Sean war schneller. Er packte mich an der Schulter und schubste mich auf die Couch zurück. Unbeeindruckt beugte er sich zu mir herunter, presste mich in die Kissen und packte nach meinen Handgelenken. Verbissen versuchte ich, mich freizukämpfen, doch gegen seine Stärke kam ich nicht an. Ihm gelang es mit Leichtigkeit, mich abzuwehren und gleichzeitig in meine Hosentaschen zu greifen, aus der er am Ende meinen echten Personalausweis herauszog.
»Sieh mal einer an. Was haben wir denn da?« Mit einem Siegerlächeln trat er drei Schritte zurück und hielt meinen Ausweis in der Hand.
»Hey, Arschloch! Gib ihn mir sofort zurück!« Fuchsteufelswild stapfte ich auf ihn zu und probierte danach zu angeln, doch Sean wich mir geschickt aus. Als er anfing zu lachen, wusste ich, dass ich verloren hatte. Schmollend und mit hängenden Schultern sah ich ihn an und wäre am liebsten vor Scham in einem bodenlosen Loch verschwunden.
Neugierig begann er die Daten zu studieren. Meine Hoffnung, ohne weitere Probleme davon zu kommen, waren auf Null gesunken.
Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er mich an und steckte den Personalausweis in die eigene Hosentasche. »Siebzehn ist also das neue Zwanzig. Verdammt, Finn Evans, du hättest mich in Teufelsküche bringen können!«
»Spinnst du? Der gehört mir! Ich will jetzt gehen, wenn du schon nicht die Bullen rufst!« Dass er mich mit meinem vollständigen Namen ansprach, irritierte mich flüchtig. Das hatte schon lange niemand mehr getan. Fieberhaft überlegte ich, wie ich meinen Ausweis zurückbekommen und schnellstens die Biege machen könnte. Für den Notfall hielt ich mir gerne einen Fluchtplan bereit. Leider war mein Hirn wie leergefegt. Sean hatte mich in der Hand.
»Nicht so eilig, du Früchtchen!« Geschwind stupste er mich erneut aufs Sofa. »Du bleibst hier. Zumindest für heute Nacht.«
»Das ist Freiheitsberaubung!«, hielt ich zähneknirschend und mit geballten Fäusten dagegen.
»Ich nenne es eher einen Streuner aufnehmen«, stellte er trocken fest.
Verdutzt betrachtete ich ihn, als er sich lässig auf die Couch setzte, nach hinten lehnte und die Beine übereinanderschlug.
»Dein Freund hat dich doch rausgeworfen, oder nicht?«
»Sly ist nicht mein Freund. Außerdem geht dich das einen Scheiß an!«, kommentierte ich trotzig.
Sean schmunzelte verschmitzt und ich wusste augenblicklich, dass ihm etwas im Kopf herumspukte, das mir nicht gefallen würde.
»Wie ich eben schon sagte, bleibst du heute Nacht hier«, begann er auch schon zu erklären. »Vorher bekommst du den Ausweis von mir nicht zurück. Außerdem bist du siebzehn. An der Tür hängt groß und breit ein Schild mit der Aufschrift ›Zutritt erst ab achtzehn‹. Vorher hast du hier im Club nichts verloren. Oder willst du, dass ich wegen dir meine Schanklizenz verliere?«
»Mein Arsch ist schon lange keine Jungfrau mehr«, hielt ich dagegen.
Sean holte tief Luft und lehnte sich nach vorne. »Willst du es nicht versehen … oder kannst du es nicht verstehen? Das Black Desire ist ein Escort-Service und nicht irgendeine Bar, in der du Kerle aufgabeln oder ihnen Wechselgeld abluchsen kannst. Vielleicht hat es anderswo bisher immer funktioniert, aber hier eben nicht.«
»Ich habe ja nicht einmal etwas getrunken«, erwiderte ich scharfzüngig, denn mir gefiel es inzwischen, Sean auf die Palme zu bringen. Dass er von meinem kleinen Nebenverdienst wusste, schmeckte mir jedoch nicht. Zu meinem Verdruss reagierte er auch noch anders, als erwartet.
Sean lächelte mich undefinierbar an. »Du hast für jede Situation eine Antwort parat, was? So weit ich das einschätzen kann, bist du also ein schlaues Kerlchen. Deshalb hör mir jetzt genau zu.« Er legte eine Pause ein und ließ sich für meinen Geschmack zu viel Zeit. »Ich kann es mir selbst gegenüber nicht verantworten, dich einfach zurück auf die Straße zu setzen«, fuhr er endlich fort. »Daher biete ich dir einen Deal an. Du bekommst von mir einen warmen Schlafplatz, Essen und Klamotten. Im Gegenzug leistest du meinem kleinen Bruder Gesellschaft. Wie klingt das für dich?«
Fassungslos starrte ich ihn an und glaubte mich verhört zu haben. Hatte mir Sean soeben angeboten, bei ihm zu wohnen? Im ersten Moment klang es wie Musik in meinen Ohren, doch die Ernüchterung folgte auf dem Fuß. Es ging um seinen Bruder und nicht um ihn.
»Wo ist der Haken?«, erkundigte ich mich skeptisch.
»Den gibt es nicht. Abgesehen davon, dass der Club und alles was dazu gehört für dich tabu ist. Inklusive der Jungs. Mein Loft liegt unter dem Dach. Dort wohne ich mit Riley. Es ist separiert vom Rest des Clubs. Mein Bruder ist sechszehn und war bislang nicht viel draußen unterwegs. Außerdem wird er von zu Hause aus unterrichtet. Dadurch kennt er leider auch keine Mädchen und Jungs in eurem Alter. Aber du könntest das ändern. Was meinst du?«, antwortete Sean und nahm mich interessiert in Augenschein.
Ich erinnerte mich sehr gut an den schüchternen Jungen mit dem süßen Hund. Er hatte seinen Geburtstag im Richmond Park gefeiert. Die Verwandtschaft zwischen Sean und seinem Bruder stand außer Frage, denn ihre Gesichtszüge ähnelten sich mehr, als sie vielleicht dachten.
»Heißt im Klartext: Ich soll Babysitter spielen, oder was? Warum ausgerechnet ich?«, erkundigte ich mich. Obwohl mir der Vorschlag gefiel, war ich skeptisch. Der Junge sah verdammt gut aus, aber ansonsten war er gar nicht mein Fall. Allerdings würde es bedeuten, dass ich Sean jeden Tag sehen konnte und bei diesem Gedanken verspürte ich wieder das angenehme Kribbeln auf der Haut. Mein Herz schlug schneller und in meinem Bauch wuselten Schmetterlinge wild umher.
»Kein Babysitter«, antwortete Sean und erneut schenkte er mir dieses faszinierende Lächeln, das ich so sehr an ihm mochte. »Du sollst sein Freund sein. Oder anders gesagt, du sollst Zeit mit ihm verbringen.«
»Hm. Okay. Aber warum ich?«, wiederholte ich und war nicht besonders scharf darauf, mich an Riley ranzuschmeißen. Sean dagegen war ganz mein Fall.
»Habe ich das nicht eben erklärt?«, stellte er die Gegenfrage. »Riley hatte keine schöne Kindheit und ich schätze, du auch nicht. Falls ich falsch liege, korrigiere mich. Er musste jedenfalls Dinge erleben, von denen man in seinem Alter nicht einmal etwas wissen sollte. Das ist der Grund, warum er sich nicht allein auf die Straße traut. Er geht nur vor dir Tür, wenn jemand dabei ist. Deshalb ist er mehr zu Hause als woanders. Mein zweiter jüngerer Bruder Tyler, mein Geschäftsführer Jamie und auch ich, haben nicht immer Zeit, um ihn zu begleiten. Du dagegen sitzt auf der Straße und suchst einen Platz zum Schlafen. Warum nicht zwei Probleme auf einmal lösen? Ach ja … bevor ich es vergesse, es gäbe von mir auch Taschengeld.«
Bei dem Wort Geld horchte ich auf. Moneten waren das, was ich am dringendsten benötigte. Bislang verstand ich seine Intension zwar immer noch nicht, aber falls er nicht log, würde es ausreichen, wenn ich nur so tat, als würde ich seinen Bruder mögen. Das würde mir noch leichter fallen, als irgendeinem Idioten wie Sly schöne Augen zu machen. Ich müsste ja nicht mit ihm ins Bett steigen, sondern nur meine Zeit mit ihm verbringen.
»Über wie viel reden wir?« Nun war ich derjenige, der sich nach vorne beugte und ihn aufmerksam beäugte.
Sean schmunzelte. »Du bekommst von mir jede Woche hundertfünfzig Pfund. Genauso viel, wie Riley bekommt. Du kannst damit tun und lassen, was du willst, aber Alkohol und Drogen sind verboten.«
Hundertfünfzig Pfund war um einiges mehr, als ich sonst in einer Woche verdiente! Sprachlos klappte mir der Unterkiefer herunter und als ich es bemerkte, schloss ich den Mund rasch wieder. Sean sollte nicht denken, dass er mich bereits an der Angel hatte.
»Wie wäre es mit zweihundert?«, versuchte ich mein Glück.
Sean lachte und ich wusste, dass er sich nicht darauf einlassen würde. »Hundertfünfzig und dazu Kost und Logis umsonst. Allerdings ist der Club, so wie die vierte und fünfte Etage für dich tabu. Da wohnen die Jungs und du hast dort nichts verloren. Verstanden? Heute Nacht kannst du erstmal auf dem Sofa schlafen. Morgen stelle ich dir Riley vor und dann richten wir dir das Gästezimmer ein.«
»Der Fußboden tut es auch«, sagte ich und dachte an die zahlreichen Nächte zurück, in denen ich auf dem harten Boden eines aufgebrochenen Kellers verbracht hatte. Nur mit dem Unterschied, dass ich dieses Mal nicht aufpassen musste erwischt zu werden.
»Red keinen Quatsch. Du bekommst ein Bett. Das mit dem Streuner war ein Witz?«, erwiderte er prompt und stand auf. Langsam kam er auf mich zu und streckte mir die Hand entgegen. »Haben wir einen Deal?«
Misstrauisch beäugte ich sie und war mir unsicher. Einerseits würde es bedeuten, dass ich mir in nächster Zeit keine Sorgen um einen Schlafplatz und Geld machen müsste. Ebenso wäre ich die perversen Arschlöcher los, die ich bislang zwar abwehren konnte, die mich aber dennoch als Freiwild betrachteten. Andererseits gab ich meine gewohnte Freiheit auf. Doch die Aussicht, in Seans Nähe zu sein, brachte mein Herz zum Flattern.
Bereits bei unserer ersten Begegnung hatte er sich klammheimlich in mein Herz geschlichen. Jeder andere hätte die beiden stämmigen Typen missachtet, die mich in die Finger bekommen hatten. Er jedoch hatte ihnen sogar Geld gegeben, damit sie mich in Ruhe ließen. Von da an war ich ihm immer wieder im Verborgenen gefolgt und hatte so einiges über Sean Ashton herausgefunden. Er besaß zwar mächtig viel Kohle, fuhr einen schicken Sportwagen und arbeitete neben dem Club in einem Büro, doch das war nicht das, was mich in seinen Bann zog. Von mir aus hätte er auch in einer schäbigen Einzimmerwohnung hausen können. Mein Interesse an Sean war seine Person an sich. Sean war so ganz anders als die Männer, die ich kannte und großteils verabscheute. Somit stand meine Entscheidung fest.
Ich stand auf und wir besiegelten den Deal mit einem festen Händedruck. Ausgerechnet in diesem Moment fing mein Magen an zu knurren. Beschämt grummelte ich leise vor mich hin.
Sean grinste und blickte auf die Armbanduhr. »Die Küche hat zwar schon geschlossen, aber ich sehe schnell nach, ob ich noch etwas finde.«
»Darf ich mit?« Ich setzte mein freundlichstes Lächeln auf, denn ich wollte nicht schon wieder allein in diesem Raum festsitzen.
Sean runzelte kurz die Stirn, dann nickte er. »Komm mir aber nicht auf blöde Ideen. Wir gehen nur in die Küche und dann wieder zurück.«
»Verstanden!«
»Okay, dann los!«, forderte er mich auf und ich folgte ihm mit neugierigen Blicken. Im Büro und im Flur war alles ruhig, nur leise Musik war zu hören. Der Club war wirklich vom Feinsten. Ich hatte den Eindruck, als könnte ich noch frische Farbe riechen. Als wir uns der Großküche näherten, stieg mir der typische Speisenduft in die Nase, der noch in der Luft hing. Augenblicklich meldete sich mein Magen von Neuem.
Vorwitzig sah ich mich um. Solch ein Ort war mir nicht fremd. Meine drei Jahre ältere Schwester Fiona arbeitete als Beiköchin in einem noblen Restaurant in unserer Heimatstadt Manchester. Bevor ich vor vier Monaten nach London getrampt war, hatte sie mir immer heimlich etwas von den Resten zugesteckt, bevor sie im Mülleimer gelandet wären. Wehmut erfasste mich, denn ich vermisste sie sehr. Immerhin hatten wir dasselbe durchgemacht und sie war mehr eine Mutter für mich gewesen, als es unsere leibliche je war. Leider fehlte es Fiona an Geld, um für uns beide zu sorgen. Vor allem, da sie schon mit vierzehn von zu Hause abgehauen war und nie eine richtige Ausbildung genossen hatte. Sie hatte Glück, dass sie bei einer Freundin als Untermieterin wohnen durfte. Für mich gab es dort keinen Platz. Wenigstens telefonierten wir regelmäßig und sie würde sicherlich ausflippen, wenn ich ihr hiervon erzählte. Vielleicht könnte ich von dem Taschengeld so viel zurücklegen, dass es irgendwann für uns beide reichte. Dann würde ich sie auf der Stelle nach London holen.
»Es gibt nur noch kalten Braten«, riss mich Sean aus den Gedanken und deutete in den großen Kühlschrank. »Ich könnte dir ein Sandwich machen.«
»Am liebsten eines mit viel Käse. Durst habe ich auch.«
»Vorschlag. Ich besorge dir etwas Nichtalkoholisches aus der Bar und du machst dir selbst etwas zu essen.« Sean suchte alles für ein ordentliches Sandwich zusammen und schloss den Kühlschrank wieder.
»Ich kann auch mitkommen«, antwortete ich augenzwinkernd.
»Du bleibst schön hier!«, warnte er mich, aber dieses Mal schmunzelte er dabei. »Ich bin gleich zurück.«
Breit grinsend sah ich ihm nach und fing an, mir ein Sandwich zuzubereiten. Zwischendrin konnte ich nicht widerstehen und stopfte mir etwas von dem Braten in den Mund. Er schmeckte köstlich. Ich wusste gar nicht, wann ich das letzte Mal so etwas Gutes gegessen hatte. Heute Morgen hatte mein Geld eben noch für einen lauwarmen Hamburger gereicht.
Gerade als ich fertig war und hineinbeißen wollte, hörte ich Sean im Flur reden. Er war nicht allein, denn ich vernahm auch die Stimme seines Freundes Jamie. Vorsichtig schlich ich zur Tür und lauschte.
»Hast du dir beim letzten Mal dein Hirn rausgevögelt?«, mokierte sich Jamie, doch es klang mehr nach einem Vorwurf als nach einem Witz. »Du kannst ihn doch nicht bei dir wohnen lassen! Ich geb dir Brief und Siegel, dass er dich beklaut.«
Nach diesen Worten ballte ich wütend die Hände zu Fäusten. Was dachte sich der Kerl? Er kannte mich doch gar nicht.
»Sieh nicht gleich alles so schwarz. Das Gleiche hätte ich auch von dir denken können.«
»Vergleich mich nicht mit ihm.«
Ich vernahm ein leises Seufzen von Sean. »Jamie, ich habe dir eben meine Gründe genannt. Gib dem Kleinen wenigstens eine Chance.«
»Warum sollte ich? Ich will mit dem streunenden Hund nichts zu tun haben.«
»Jetzt bist du ungerecht.«
»Nein. Ich will mir nur keine Flöhen holen.«
Am liebsten wäre ich Jamie an die Gurgel gesprungen. Sie sollten jedoch nicht mitbekommen, dass ich heimlich lauschte. Ich würde diesem Arsch schon zeigen, dass er sich gewaltig in mir täuschte.
»Morgen sehen wir weiter. Finn muss sich erst einmal eingewöhnen. Vorerst darf er bleiben. Sobald er aber mein Vertrauen missbraucht, ziehe ich andere Saiten auf.«
Für einen Moment herrschte Stille, sodass ich mein Herz wild in meiner Brust trommeln hörte. Sean meinte es also ernst. Ich durfte bei ihm wohnen. Ich konnte mein Glück kaum fassen.
»Okay. Es ist deine Entscheidung«, gab Jamie mit widerwilligem Unterton klein bei. »Pass trotzdem auf deine Wertsachen auf. Das ist ein Tipp von jemandem, der weiß, wie solche Typen ticken. Immerhin war ich selbst über zwei Jahre auf der Straße.«
Überrascht über Jamies Worte, wäre mir beinahe das Sandwich aus der Hand gefallen. Bislang hatte ich angenommen, dass er aus den gleichen Verhältnissen wie Sean stammte. Reich, wohlbehütet und mit einer Menge Kohle auf dem Konto. Das dem nicht so war, milderte meine Wut ein wenig ab. Jetzt wollte ich ihm erst recht beweisen, dass er sich gewaltig in mir irrte.
»Mein Gefühl sagt mir, dass Finn kein Unschuldslamm ist, aber dass er auch schon ein paar negative Dinge erlebt hat. Letztendlich muss Riley ihn mögen«, sagte Sean.
Jamie lachte erheitert auf. »Das wird ein Spaß. Zwei Teenies unter einem Dach und dazu ist der eine auch noch ein rotzfreches Monster. Papa Sean … zieh dich warm an.«
»Wenn ich nicht klar komme, rufe ich dich zur Hilfe.«
»Vergiss es! Nur über meine Leiche. Aus erzieherischen Fragen halte ich mich ganz raus.«
Ich hörte Seans sympathisches Lachen. »Ich schau, ob das kleine Monster mittlerweile schon etwas gegessen hat und mache Feierabend. Dann sehe ich nach Riley und hoffe, dass er sich abreagiert hat.«
Jamie versuchte, wieder ernst zu werden, was ihm nicht wirklich gelang. »Wunschdenken. Riley ist in seiner Trotzphase. Wenn du Glück hast, ignoriert er dich.«
»Wenn du später noch Lust hast, komm hoch.« Ich sah Seans verführerisches Lächeln nicht, konnte es mir aber gut vorstellen.
»Ist das eine Einladung?«, hörte ich Jamie lüstern raunen. Sofort bohrte sich der Stachel der Eifersucht tief in mein Fleisch. Am liebsten wäre ich hinausgestürmt und hätte den Kerl mit einem Arschtritt quer durch den Flur befördert.
»Eine Aufforderung«, kam die erregte Antwort zurück.
Erneut war es still und obwohl ich beide nicht sah, wusste ich instinktiv, dass sie sich küssten.
© Madison Clark
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